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Louise
(1777-
 
 Brachmann
1822)
 
 
 
Der Befreite
 
Blühend standen die Orangenhaine
In des Königsgartens Lustgebiet,
Und die Mandeln und die Rosen alle,
Und am Springquell und am Wasserfalle
War der ganze Blumenflor entglüht.
 
Doch was ist des Lebens höchste Fülle
Ohne Freuden süßer Harmonie?
Bagdad's Herrscher saß im goldnen Saale
Mäßig, leer beim üppig reichem Mahle,
Weil ihm nichts des Lebens Geist verlieh.
 
Horch, da klang der Zauber mächt'ger Saiten
Von dem Eingang, weckend Muth und Lust;
Und ein Sänger naht in fremder Hülle,
Glanzlos, schon ergrauend, doch die Fülle
Süßen Wohllauts wohnt in seiner Brust.
 
Wonne stieg in alle Herzen nieder
Bei des Liedes Himmelsmelodie.
»Fordre, süßer Sänger!« rief der König;
»Jeder Lohn ist deiner Kunst zu wenig.
Nur zu scheiden, Fremdling, denke nie!«
 
»Du gebeut'st, o König!« sprach der Sänger,
»Wohl, ein volles Jahr verweil' ich hier,
Aber jetzt in deiner Großen Mitte,
Schwöre mir Gewähr dann einer Bitte!
Meine Kunst, sie weih' ich treulich dir.«
 
Und der König schwur, von Freude trunken,
Und der Sänger weilt ein volles Jahr,
Werther stets dem König und den Großen,
Aber fest, als nun die Zeit verflossen,
Stellt er muthig sich zum Adschied dar.
 
»Wohl, ich weiß den Eid, den ich geschworen,«
Sprach der König: »nimm denn Gut und Gold!« -
»Gut und Gold kann deinen Schwur nicht retten;
Doch ein Ritter ist in deinen Ketten,
Seine Freiheit sei der Lieder Sold!
 
Kennst du ihn? sein Gang ist hoch und edel,
Ist er gleich des Unglücks armer Sohn;
Seine Wange glich der Rosenblüthe,
Seine Brust bewohnte Muth und Güte;
Aber Schmach war seiner Wunden Lohn.«
 
So der Alte; brach des Ritters Bande,
Doch den Dank verschmäht er stolz und hehr;
Eh' der Arme Worte noch gefunden,
War sein edler Retter schon verschwunden,
Und der Freie sah ihn nimmermehr.
 
Und der Jüngling stürzt' auf's Antlitz nieder:
»Dank, o Freund, vom Himmel mir gesandt;
Meines Landes ferne, theure Höhen,
Die Geliebte werd' ich wiedersehen,
Und den Sohn, der Liebe heil'ges Pfand!« -
 
Über Meer und Land und Thal und Hügel
Zog der Ritter zu der Heimath Schoß.
Jetzt erblickt er im bekannten Thale
Seine Burg im rothen Abendstrahle,
Trat entzückt in seiner Väter Schloß.
 
Und von aller Reize Macht umgeben,
Schloß die schöne Gattin ihn an's Herz,
Führt' ihn an des kleinen Schläfers Wiege;
Der Beglückte fand die eignen Züge,
Und vergaß der bittern Tage Schmerz.
 
Glücklich wär' ihm so sein Loos erschienen,
Hätt' er nicht der Freundschaft Wort gehört;
Doch die treuen Freunde, streng und bieder,
Schlugen bald den Traum von Wonne nieder,
Der so süß in's treue Herz gekehrt.
 
»Ha! ich Schwacher!« rief empört der Ritter,
Als er heim vom Mahl der Freude kam,
»Schöne Schlange, konnt' ich je dir trauen?
Kehrt' ich nie doch zu der Heimath Auen! -
Flieh'! und laß mich der Verzweiflung Gram!
 
Während mich des Elends Bande drückten,
Schweiftest du mit Buhlen weit und breit,
Höhntest selbst dem heiligsten der Triebe,
Dachtest nicht des Kindes treuer Liebe
Sprich, wo warst du in der langen Zeit?« -
 
»O, du mein Geliebter, theures Leben!
Du verbannst von deinem Antlitz mich?
Wohl, ich geh'; doch nur noch einmal wieder
Senk auf mich die lieben Augen nieder!
Harr' ein Weilchen, hier begrüß' ich dich.«
 
Sie verschwand; er blieb, den Kampf im Busen,
Sieh', der graue Sänger trat herein,
Riß die Hülle von der Locken Golde:
»Kennst du mich, mein Liebling?« sprach die Holde.
Und - ein Himmel schloß den Treusten ein.