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Hedwig
(1882-
 
 Caspari
1922)
 
 
 
Hiob und sein spätgeborener Sohn
 
    Hiob spricht:
 
Sie preisen glücklich mich, weil Er, der Eine,
Mir viel gewährt, nachdem er mich beraubt;
Doch keiner weiß, wenn tief verhüllt das Haupt,
Mein Glück, das er mir nahm, ich stumm beweine.
 
Die Kinder, die ich liebte, bergen Schreine,
Die meine Jugend zeugte, sind zerstaubt,
Mich hegen andere; - doch ein Tor, wer glaubt,
Daß sie mir nah. Ich dulde sie zum Scheine.
 
Ich bin Gott fremd, begrenzt ist sein Allwissen,
Er gab mir tote Güter, Felder, Herden.
 
Begreift er nicht, wie elend und zerrissen
Die Überdaurer eigner Jugend werden,
Weil Mensch im Menschen tief verwurzelt ruht
Und unersetzlicher wie lebend Blut?
 
 
    Der Knabe spricht:
 
Ich habe meine Brüder nie gekannt,
Die früh das Irdische gesegnet hatten,
So aber kämpfe ich mit ihren Schatten,
Denn nimmt mein Vater mich an seine Hand,
 
Trennt uns Gewesenes wie dichte Wand. -
Noch einmal möchte ich sie tief bestatten.
Ich hungere nach Liebe. - Sie, die Satten,
Sie haben mich geächtet und verbannt.
 
Nie werde ich im Vaterauge gleichen
Den Toten, die ich hasse. Wem des Lebens
Aussaat zur Ernte reifet, ringt vergebens
 
Das Bild der früh Verblichnen zu erreichen,
Deren Erfüllung reich und auserlesen,
Unendlich wurde, weil sie nie gewesen.
 
 
    Hiob spricht:
 
Als siech mein Leib vom schwärenden Gebreste
Und die geliebten Kinder mir entglitten,
Hielt Zwiesprach ich mit Gott, die jeden Dritten
Von mir vertrieb, weil drohend seine Geste.
 
Ich blieb allein, - und das war so das Beste,
Denn niemals habe tiefer ich gelitten,
Als heut, da zage, ungesprochne Bitten
Mich lösen wollen von dem Leidensreste.
 
Naht sich mir Liebe, muß ich sie verfluchen.
Ich fürchte Gott, ich will ihn nicht versuchen,
Daß nochmals er sein Auge auf mich lenkt.
 
Ich kann nicht mehr in andern Wurzeln schlagen.
Es könnte Gottes Laune leicht behagen,
Mir neu zu rauben, was er mir geschenkt.
 
 
    Der Knabe spricht:
 
Gewaltig ist mein Vater, - wer wie er
Geprüft von Gott und dann bewährt gefunden,
Muß einsam bleiben, denn der andern Wunden
Mißachtet er, ihr Leiden dünkt ihm leer.
 
Geschäh das Wunder froher Wiederkehr
Der toten Brüder, - würde er gesunden?
Kann er noch fühlen, wie er einst empfunden?
Er ist zu groß, - er liebte sie nicht mehr.
 
Doch ich bin schwach, und ich ertrage nicht
Die Nähe solcher Größe, denn wer gibt
Ein Lächeln mir? - Ich möchte mich verlieren
 
An einem Lächeln, doch mich schreckt sein Licht,
Das grell und hart. Ich werde immer frieren,
Weil niemand meine Jugend wärmt und liebt.
 
 
    Hiob spricht:
 
Gott, deine Allkraft hast du überschätzt!
Du wolltest nach der Prüfung herbem Meiden
Begütigend an meinem Glück dich weiden;
Sieh, wie ich bin: mein Innerstes zerätzt!
 
Du Schöpfer alles Lebens weißt es jetzt:
Ein Spiel war dir, aus nichts das All zu scheiden,
Doch das Gewesene, vergangne Leiden
Zu löschen, bleibt unmöglich bis zuletzt.
 
War nicht genug, daß mir allein geschah
Auf immer Leid? - Jedoch mein Leid verdirbt
Die Luft für jeden, der mir lebensnah,
Bis seine Wurzeln krank, bis er verdorrt. -
 
Auch wenn mein Leid mit meinem Körper stirbt,
Erbt es als Fluch von Glied zu Glied sich fort.