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Karoline von
(1780-
 
 Günderrode
1806)
 
 
 
Die Pilger
 
  Der erste Pilger
 
Ich bin erkranket
An Liebespein,
Mögt' nur genesen,
Wollst du mein seyn.
 
Dein lieblich Wesen,
Dein Lippenroth,
Hält mich gefangen
Bis an den Tod.
 
Mein Aug' ist trübe,
Mein' Jugend verdorrt,
Doch kenn' ich noch Heilung,
Wohl weiß ich den Port.
 
Zu dem will ich wallen
Ob Länder und Meer,
Die Brust ist beklommen,
Das Herz ist mir schwer.
 
Ich greif zum Stabe,
Ich walle zum Meer;
Es brausen die Winde,
Es tobet das Meer.
 
Die Vöglein fliegen
so lustig voran,
Sie suchen den Frühling
Und treffen ihn an.
 
Es hält mich die Liebe,
Ich bliebe so gern,
Doch ziehet mich Sehnsucht
Zum Grabe des Herrn.
 
Lebt wohl dann ihr Augen
Von freundliche Schein,
Mein Blick soll zum Himmel
Gerichtet nur seyn.
 
Mich sehnet, o süße
Geliebte, nach dir,
Doch wähl' ich das Grab mir,
Des Heilands dafür.
 
Da kniee ich nieder
Voll bitterem Schmerz;
Da kann ich dich lassen,
Da bricht mir das Herz.
 
Die Heilung ist bitter,
Der Weg ist wohl weit;
Doch greif' ich zum Stabe
Und ende mein Leid.
 
 
  Der zweite Pilger
 
Ich scheide froh vom Vaterland
Und suche den geliebten Strand,
Wo Jesus Christus wallte;
Wo er in Demuth angethan
Des Erdenlebens schwere Bahn,
Mit stillem Sinne wallte.
 
Was ist die Herrlichkeit der Welt
Und alles, was dem Sinn gefällt?
Ich will ihm froh entsagen.
Die irrdische Kette fällt von mir,
Und Jesu! nur zu dir! zu dir!
Will ich mein Sehnen tragen.
 
Die Märterkrone windet mir
Und Seeligkeit wohl für und für,
Wenn ich vollendet habe.
O süße Buße! himmlisch Leid!
In frommer Einfalt Seligkeit,
Ihr wohnt am heiligen Grabe.