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Natalie von
(1802-
 
 Herder
1871)
 
 
 
Guide durch die Zimmer von Frau v. G....e
          22. 8. 41
 
Nicht Jeglichem ist es so leicht beschieden
In des Urbino Tiefen einzudringen,
Hast Wandrer, Du die Scylla auch gemieden,
Bleibt Dir noch die Charybde zu bezwingen.
Doch hast Du Fuß gefaßt in diesen Hallen,
Und den meander-gleichen Weg erspäht,
Dann wirst Du Dir nur allzuwohl gefallen
Dort, wo man nimmer gern den Rückweg geht.
Dich grüßt ein hehrer Geist in diesen Räumen,
Die Wände sprechen manch' erhabnes Wort,
Aus der Vergangenheit belebten Träumen
Ruft Dich die Gegenwart gewinnend fort.
Genial und voll Gemüth in seltner Weise,
Erkennst Du am Salon die Herrin schon.
Im schnellsten Flug hier, flüchtig auf der Reise,
Betrittst Du ihn, doch eilst Du nicht davon,
Gleich links am Eingang sitzt auf der Couchette,
In ihr Gespräch vertieft ein ernstes Paar,
Daneben beut die zierliche Silhouette,
Der Freundin kunstgeübte Hand uns dar.
Behaglich winkt am Sopha reich entfaltet
Der Theetisch von der Meisterin regiert.
Wie auch das Außenleben sich gestaltet,
Ein günst'ger Stern hat Dich hieher geführt,
Suchst Du der Welt, den Menschen zu entfliehen,
Flücht' in's Closet, in halber Einsamkeit,
Wie Traumgestalten still vorüberziehen,
Siehst Du die Bilder einer fernen Zeit.
Laß Dich vom Wiener Comfort nicht verleiten,
Von Büchern nicht, noch Bildern ohne Zahl,
Die vielfach sich im Album vor Dich breiten,
Wie der Erinn'rung reicher Ahnensaal.
Komm fort! zurück zu dem bewegten Leben,
Vervielfacht wird der Kerzen heller Schein
Im Spiegelbild die Einzelnen Dir geben,
Trittst Du zum Kreis der Freunde wieder ein.
Daß der Entfernten man auch hier gedenket,
Erkennst Du bald am Schreibtisch, reich verseh'n
Mit dem, was die Gedanken auswärts lenket,
Und Brücken baut dem geistigen Versteh'n.
Befreundet grüßen dort bekannte Züge,
Ersetzen sie auch die Getrennten nicht,
Ist's doch als ob ein Blick, ein Lächeln früge,
»Vergeßt Ihr auch der alten Freunde nicht?« -
Oft wird ein Kunstprodukt hier vorgetragen,
In leichter Skizze übt sich Meisterhand,
Nach jeder Unterhaltung magst Du fragen,
Geordnet hat die Herrin sie gewandt.
Auch im Urbino ist die rechte Mitte
So schwer zu finden, wie im Lauf der Welt,
Doch hat hier Harmonie und feine Sitte
Das richtige Verhältniß hergestellt.
Gern ließe man den Flügel aufwärts schweben,
Der hier das rechte Tempo scheinbar stört,
Doch sinniges Gespräch, voll Geist und Leben,
Ein jedes an dem Platz, der ihm gehört,
Und alle fremden Wünsche sind verschwunden,
Die Phantasie die Zeit in Fesseln schlägt,
Gleich eilenden Minuten flieh'n die Stunden,
Wer dann wohl zweifelnd nach dem Guide noch frägt?