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Natalie von
(1802-
 
 Herder
1871)
 
 
 
Der Unterschied
 
Ein junger Forstmann schwärmte sehr
Für Fräulein Wilhelminen,
Er sagt' ihr oft, wie schön sie wär',
Daß keine der Cousinen
Des Amtmanns zu vergleichen sei
Mit ihr, an loser Schelmerei.
 
Man feierte ein Fest im Wald,
Der Rückweg führt' am Saume
Hinab, wo fernes Echo schallt,
Schön Minchen ruht am Baume,
Und ruft im Herzen hoch erfreu't:
Wie duften schön die Tannen heut!
 
Der Jäger sagt: »mein holdes Kind,
Gern möcht' ich Dir erzählen,
Daß Fichten keine Tannen sind.
Willst mich zum Lehrer wählen?«
- Ach! das ist wohl vergeb'ne Müh',
- Hab's oft versucht, doch merk' ich's nie.
 
»Ich präge Dir's als Gleichniß ein:
Den Tanten ich vergleiche,
Mit dünnen Nadeln, spitz' und fein,
Die schmalen Tannenzweige,
Die schlank und etwas trocken sind,
Sie knarren laut bei jedem Wind.
 
Doch ist der Zweig recht voll und grün,
Dann ist es eine Fichte,
Um die sich ringsum Nadeln ziehn,
Das Bild der holden Nichte.« -
Die Tanne ist ihr nun bekannt;
Nie ward sie Fichte mehr benannt.