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Natalie von
(1802-
 
 Herder
1871)
 
 
 
Das bleiche Bild
 
     Ballade
 
Es steht auf dem Fels rings um zu schau'n
Ein altes Schloß in Thüringens Gau'n,
Als Stammsitz edler Fürsten bekannt,
Zur Wartburg ward die Zinne benannt.
 
Hier wurde geführt in alter Zeit
Der Minnesänger berühmter Streit.
Sie prießen laut das Lob ihres Herrn,
Wie zarter Schönheit leuchtenden Stern.
 
Es war dort das Vorbild edler Frau'n,
Elisabeth, die fromme, zu schau'n,
Der Armen Hort in Noth und in Schmerz,
Die Heilige, groß durch ihr Menschenherz.
 
Einst schloß es in seiner Mauern Schrein
Den muthigsten Streiter Gottes ein.
Der frommen Sagen ward manche kund,
Und pflanzte sich fort von Mund zu Mund.
 
Der Pilger fand eine Heimath hier,
Dem Fremdling winkt der Sitte Panier,
Am Hof der Fürsten voll deutscher Kraft,
Den Schirmern des Rechts, der Wissenschaft.
 
Hier kämpften die Ritter im Turnier
Um Minnesold, holder Frauen Zier.
Es pflanzt sich durch alle Zeiten fort,
So Treu wie Glaube an deutsches Wort.
 
Doch ein geist'ger Schauer still dort weht,
Und wesenlos durch die Räume geht.
Zuweilen in fahlem Dämmerlicht
Erblickt man der Ahnfrau bleich' Gesicht.
 
Sie drohet und zürnt bei böser That,
Sie warnt, wenn Unheil dem Hause naht,
Zum Schrecken Aller kündet im Saal
Die nahe Gefahr sie an zumal.
 
Ihr Bild blickt blaß von der Wand herab,
Als wär's entnommen nur erst dem Grab,
Oft wähnete man voll Furcht und Graus,
Es träte aus dem Rahmen heraus.
 
Einst haust' auf dem Schloß gar streng gesinnt,
Ein finstrer Burgvogt mit Weib und Kind,
Von des Jähzorns Flammen leicht entbrennt,
Führt' er ein strenges Hausregiment.
 
Zuweilen strebte des Kindes Sinn
Nach einem verbot'nen Spielzeug hin.
Da schalt der Vater mit hartem Wort,
Mit schwerer Strafe drohend sofort.
 
»Thust Du noch einmal, was ich verbot,
»So hilft kein Bitten in Deiner Noth,
»Ich sperre Dich zu der Ahnfrau ein,
»Dann ist umsonst Dein Rufen und Schrein«.
 
Allein des fröhlichen Kindes Ziel
Bleibt immer nur das verbot'ne Spiel;
Es denket harmlos, »sollt er's auch sehn,
Was kann mir wohl vom Vater geschehn?
 
Da tritt dieser zürnend rasch herbei,
Das Spielzeug bricht in Stücke entzwei,
Das kleine Händchen zittert und bebt,
Kaum, daß es noch zum Bitten sich hebt.
 
»Vergieb o Vater, nur diesesmal!«
- Nein, fort mit Dir in den Rittersaal,
- Wie die Ahnfrau straft magst Du nun sehn,
- Zum Spielen wird Dir die Lust vergehn! -
 
Streng, unerbittlich führt er das Kind
In den Ahnensaal, schließt zu geschwind,
Zieht ab den Schlüssel und geht hinein
Zur Stadt und kaufet Verschied'nes ein.
 
Es kommt die Mutter indeß zu Haus,
Schaut hier und dort nach dem Kinde aus,
Und denkt: ob der Vater wohl zur Stadt
Die Kleine gar mitgenommen hat?
 
Da dringt an ihr Ohr ein Angstgeschrei,
Es scheint ihr im Saal, - sie eilt herbei,
Doch wie sie auch rüttelt am festen Schloß,
Selbst Mutterliebe reißt es nicht los!
 
Sie schickt nach dem Vater Boten aus,
Spät kehrt er - endlich zurück in's Haus,
Sie öffnet die Thür, sie eilt hinein -
Da hüllet rings Staub und Schutt sie ein.
 
Das bleiche Bild, was die Wand sonst deckt,
Liegt jetzt auf dem Boden hin gestreckt,
Das liebliche Kind jüngst frisch und roth -
Es liegt daneben ist starr und todt.
 
Das Bild von der Wartburg längst verschwand,
Es ward vermauert in feste Wand,
Am fernen Ort, wo kein Mutterherz
Dahin stirbt in langem Todeschmerz.