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Maria
(1859-
 
 Janitschek
1927)
 
 
 
Du Lose!
 
Meine buhlende Seele, was hast du gesehn?
rote Scheine über deine Züge gehn,
dein Jauchzen, deine psalmende Lust
wie Pfingstgesang aus junger Brust!
 
Schlichst du in eines Künstlers Traum?
sahst du Vögel sich küssen im Birnenbaum?
hast du einen Sterbenden lächeln gesehn?
sahst du ein Kindlein durch Blumen gehn?
 
Ist irgend wo eine Welt entbrannt?
hat ein Volk sich zu kühnen Thaten ermannt?
hat ein Käfer sein kleines Bräutchen gefreit?
vergaß ein Glücklicher die Zeit?
 
Meine buhlende Seele, was hast du gesehn?
mußt immer abenteuern gehn,
mußt immer mit durstigen Kinderlippen
an allen Kelchen Gottes nippen.
 
Wart du Neugier, will dir die Flügel beschneiden!
Wie, was sagst du? auf einer grünen Weiden
fandest du zwei im Grase träumen,
zwei, die in Sehnsucht sich heiß verschäumen? ...
 
Und? ... »Und er glättete ihr das weiße Gewand
und strich durch ihr Haar mit stiller Hand ...«
und? .. »und .. nichts. Der Becher zum Überfließen
that keinen Tropfen seines Weines vergießen ...«
 
Und darum dein Jubeln, dein heimlich Klingen,
du buhlendes Seelchen mit leichten Schwingen,
und darum dein im Feierkleid Gehn ...
Warst etwa ... dus selbst, die du gesehn?