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Elisabeth (1808- |
Kulmann
1825) |
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Der Strom Am hohen Fuß der Anden Entsteigt dem Schooß der Erde Ein klarer Quell, so breit nur Und seicht, daß hundert Schritte Von seiner öden Wiege Der Weidmann ohne Mühe Der Quelle rechtes Ufer Mit einem Fuß berühret, Indeß sein andrer Fuß noch Ihr linkes Ufer drücket; Die müden Doggen aber Stehn lechzend im Gewässer, Das kaum ihr Knie bedecket. Zwei Tagereisen weiter Ist die namlose Quelle Bereits ein Fluß, so reißend, Daß der erfahrne Fährmann, Um an dem Ort zu landen, Der gegenüber lieget Der Stelle, wo vom Lande Er stieß, zwei dritte Theile Der Flussesbreite mühsam Stromaufwärts strebt, und dann erst Es wagt, die Vorderseite Des Kahns dem andern Ufer Gerade zuzuwenden. Jetzt kommen nacheinander Der höhern Bergesthäler Hochmüth'ge Flüsse (mancher Viel breiter als er selber) Und müssen wider Willen (Nichts widersteht dem Bunde Der Stärke mit der Tiefe) Mit ihm sich hier vereinen. O welche Wasserfläche! Lebt wohl, ihr Brücken! Sicher Baut hier, und wären's Römer, Und mächtiger und größer Als die der grauen Vorzeit, Traun, hier baut kein Bewohner Der weitentfernten Ufer Wohl jemals eine Brücke! Selbst nicht von einer Insel Zur anderen, die hier sich, Voll wechselseit'gen Stolzes Sich sondernd, in die Breite Des mächt'gen Stromes theilen, Deß Ufer sich allmählig Dem Blicke schon entziehet .... Vermag dein Aug' noch etwas Auf dem jenseit'gen Ufer, Dem fernen, zu erkennen? - Nur hier und da ein Felsstück, Das in der Sonne glänzet .... Jetzt raubet mir ein leichtes Gewölke seinen Anblick .... Jetzt, ist gleich kein Gewölke Mehr da, ist's mir verschwunden .... Es ist der Strom zum Seee Geworden. Und so naht er Dem Meere sich. Das Meer will Den Eingang ihm versperren. Sieh, wie sie sich im Kampfe, Dem schrecklichen, erheben! Hör' das Gebrüll der Wogen! Es will der Strom dem Meere, Es will das Meer dem Strome Nicht weichen. Sieh, es sieget Der Strom! Er tritt, dem Grimme Des Oceanes trotzend, In dessen uralt Erbe, Und siedelt seine Wogen, Die Süßen, an, und spottet Des Meeres, das vor Zorn schäumt. |
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Anmerkung des Herausgebers K. F. von Großheinrich: Dies ist eines von denjenigen Gedichten, die in einem aus zwanzig kleinen Aufsätzen der damals dreizehnjährigen Verfasserin bestehenden und als Anfrage zugesandtem Album, sowohl Göthe als Jean Paul in vorzüglichem Grade gefielen. - Es ist zugleich eines von denjenigen, worin sich der Gang ihres poetischen Genies, so wie einige Eigenthümlichkeiten desselben auf eine unverkennbare Art darstellen. Mit einer Kleinigkeit beginnen, um kolossalisch zu enden, scheint ein Grundzug ihrer dichterischen Natur gewesen in sein; ein anderer - alles zu beleben, sobald als möglich vom Epischen in's Dramatische überzugehen, wie hier: »Vermag dein Aug noch etwas »Auf dem jenseit'gen Ufer, »Dem fernen, zu erkennen? u. s. w. |
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