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Elisabeth
(1808-
 
 Kulmann
1825)
 
 
 
Abendgebet und Traum
 
Wir haben viel gelitten
Den Tag hindurch, o Gott!
Man mahnte uns an Schulden,
Und, ach! uns fehlte Brot.
 
Leid schwäche die Ergüsse
Des Dankgefühles nicht,
Leid ist des Lebens Schatten,
Erhöht der Freude Licht.
 
Gern will ich es ertragen,
Es sei auch noch so schwer:
Wär' Leiden mir nicht nöthig,
Du schicktest mir's nicht, Herr!
 
Und jetzt, von dir gesendet,
Kommt Schlaf, und stillt den Schmerz:
Der Tag sei noch so stürmisch,
Schlaf lullt in Ruh' das Herz.
 
- - - - - - - - - - - - - -
 
Komm, komm, durchgehn die Gegend
Wir beide Hand in Hand!
Vor allem nahn wir jener
Anmuth'gen Felsenwand.
 
Sie selbst ist ein Gemische
Von Marmor aller Art,
Das zu verschönern Blüthen
Und Früchte sich gepaart.
 
Hier reift die Fülle Beeren
Im warmen Sonnenschein,
Pflück' diese blaue Traube,
Sie selbst lädt ja dich ein.
 
Nach Herzenslust genieße
Von dieser Bäume Frucht,
Sie beugen sich ja unter
Der Früchtenmenge Wucht,
 
Und nun Begier nach Speise
Nach Wunsche du gestillt,
Lab' auch das Aug' und schaue
Dies Paradiesgefild!
 
Sieh! wie sich stufenweise
Die Felsenwand erhebt,
Wie Berge hinter Bergen
Die klarste Luft umschwebt!
 
In zartes Grün gekleidet
Sehn die uns nächsten wir,
Die ferneren und höhern
Erscheinen wie Saphir.
 
Hoch hinter ihnen thürmen
Noch höhre sich empor;
Und scheinen eine Treppe,
Die führt zum Himmelsthor.
 
Sie sind in Schnee verhüllet,
Auf dem der Sonne Licht
Sich in den holdsten Farben
Des Regenbogens bricht.
 
Und nun wir alle Höhen
Erblickt in ihrer Pracht,
Laß uns hinunterschweben
Zu jener Grotte Nacht!
 
Befürchte nichts, vertraue
Auf meiner Schwingen Kraft!
Du wirst dort sehn, wie Allmacht
Mit Mutterliebe schafft.
 
Hier riß ein Erdebeben
Den harten Fels entzwei,
Und formte diese Grotte,
Nichts kommt an Pracht ihr bei.
 
Sieh all' die Wasserfälle,
Die, Goldtapeten gleich,
Der hohen Deck' entschwebend,
Sich sammeln hier zum Teich.
 
Bewundere die Fülle
Von Früchten aller Art,
Die stets sich hier erneuern
So wunderschön und zart,
 
Wie wir umsonst sie suchten
An jedem andern Ort:
So sprossen Edens Früchte
Auf Gottes Schöpfungswort.
 
Nimm jene Prachtgranate,
Flicht einen Blumenstrauß.
Und bring' von deiner Reise
Der Mutter sie nach Haus!
 
 
 

Anmerkung des Herausgebers K. F. von Großheinrich:
 
1) Wir erinnern uns noch sehr wohl dieses für die Verfasserin und ihre Mutter so schmerzlichen Tages. Durch Krankheit verhindert, hatten wir beide seit mehr als einer Woche nicht gesehen. Wir traten in's Zimmer, und fanden Mutter und Tochter in Thränen. Die Schubladen der kleinen und einzigen Komode waren geöffnet und ihren geringen Inhalts beraubt, der auf einem benachbarten Tische lag und des Augenblicks harrte, wo er, in Folge gestellter Klage, von einem Polizei-Beamten aufgezeichnet werden sollte, um als Unterpfand einer höchst unbeträchtlichen Schuld, die aber demungeachtet bei völligem Mangel an Baarschaft nicht bezahlt werden konnte, zu dienen. Fünf Minuten nach uns erschien der hartherzige Gläubiger, ein Budengesell von höchst widerlichem Aussehen. »Du gehst den Augenblick zu dem Quartaloffiziere,« apostrophierten wir ihn, ohne ihn zum Worte kommen zu lassen, »und sagst ihm, daß du bezahlt bist.« - Ich bin aber nicht bezahlt. - Wir wiederholten die früher gesprochenen Worte mit einem erhöhten Accent - Wer wird mich denn aber bezahlen? - »Das ist meine Sorge.« - Erlauben Sie mir zu fragen, wer Sie sind? - »Das brauchst du nicht zu wissen.« Wir zogen zu gleicher Zeit unsre Uhr aus der Tasche und legten sie neben den zu verpfändenden Sachen. »Hier ist dein Pfand, und nun: Schwenk' dich rechts um, und Marsch! und daß du in einer halben Stunde zurück seist, und allein, ohne den Polizeibeamten, oder es soll dir theuer zu stehen kommen.« - Er ging und kam allein zurück. Selbst hatten wir keinen Kopeken in der Tasche, und unsere Wohnung war mehr als vier Werste von der Elisabethens entfernt. Wir nahmen von Mutter und Tochter Abschied, ließen unsere Uhr da liegen, wo sie war, und befahlen, gleichfalls mit erhöhtem Accent, dem Gläubiger uns zu folgen. Auf dem ganzen Wege hielten wir ihm eine scharfe Sittenlehre über Wucher und Hartherzigkeit gegen Wittwen und Waisen. »Bist du ledig?« fragten wir ihn, »oder hast du Weib und Kinder?« - Ich habe ein Weib und eine Tochter. - Nun hatten wir gewonnenes Spiel: denn nicht umsonst sind wir des seiner Zeit größten und ehrlichsten Anwalts am ganzen Rheine Sohn (dies Lob hörte unser Vater aus des großgesinnten Kurfürsten Karl Philipp's eignem Munde, als er eine Rechtssache gegen Ihn gewonnen hatte), und nicht ganz umsonst haben wir eine Unterlippe, die das Mittel zwischen der des Cicero und des Mirabeau hält, etwas stärker vorspringend als die des Römers, doch nicht so stark als die des Franzosen (auch kann sich keiner unserer Zöglinge rühmen, je die Schwere unserer Hand gefühlt zu haben, aber durch Strafreden sie zum Weinen zu bringen, das war mehr als einmal der Fall). Auch unsern Wucherer brachten wir zu Thränen, ihn an sein Weib und seine Tochter erinnernd; und um die Sache kurz zu machen: er gab auch in der Folge der Frau Kulmann auf Borg, und wartete ruhig die Zahlungen ab. Jedoch welch ein Unterschied zwischen einem so bekehrten Sünder und dir, edelmüthiger Gawrilo! (Sieh' unser Werk: Elisabeth Kulmann u. i. W.) Die Verf. hatte also vollkommenes Recht zu sagen:
 
    »Es sind nicht immer
    Der Menschen Lebenstage,
    Anakreon, wie deine,
    Mit Rosen überstreuet:
    Dem Guten selbst wird oftmals
    Ein schweres Loos zu Theile.«
 
2) Wir brauchen wahrscheinlich nicht unsern Lesern zu sagen, daß ihr hier im Traume ihr Schutzgeist erscheint, und der himmlische Engel den irdischen Hand in Hand durch diese paradiesische Landschaft führt.