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Thekla
(1866-
 
 Lingen
1931)
 
 
 
Schwestern
 
Schilt nicht die reiche Frau,
Du armes Mädchen am Strassenrand,
Weil die beringte Hand
Sie prahlend trägt zur Schau -
Und neide ihr nicht die stolzen Rosse,
Die dich beflecken mit dem Schmutz der Gosse,
Sie trägt wie du die Last der Pflicht -
Ach, schilt sie nicht!
 
Und leert sie auch den Kelch der Freude
Bis auf den Grund
Und lacht ihr Mund -
Sie leert ihn doch nur sich zum Leide!
Trinkt eitlen Schaum
Und sitzt im goldenen Gitterhaus
Und möchte doch so weit hinaus -
Träumt schweren Traum
Des Nachts auf seidenweichem Bette
Und rüttelt an der goldenen Kette,
Bis hoch die Sonne tagt ...
 
Ach, schilt sie nicht!
 
Und trägt sie noch so stolz ihr Angesicht,
Sie ist nur eine Magd im Kleid von Seide,
Und hütet in der Freuden Mitte
Die Gänse der verlogenen Sitte
Auf dürrer Weide -
 
Ach, schilt sie nicht!