Zur Startseite
 
Inhalt      Register
 
 
< voriges Gedicht           nächstes Gedicht >
 
Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
Die Freundschaft
 1777
 
Wenn ein düstrer schwarzer Wolkenschleyer
  Sich um unsre kranke Seele zieht,
Wenn der Gotteshauch ihr mächtig Feuer
  Fast verlischt, und nur noch sterbend glüht;
 
Welche Gottheit wird sich dann erbarmen?
  Welcher Genius wird Retter seyn?
Wer entreißt der Schwermuth Felsenarmen
  Dann die Seele? Wer wird Retter seyn?
 
Ach dort kömmt mit lächelnder Geberde,
  Mit dem ganzen Himmel im Gesicht,
Friedewinkend einer ganzen Erde,
  Eine Göttin im Gewand von Licht.
 
In der Rechten eine goldne Schaale,
  In der Linken eine Rosenkron,
Winket sie zu jenem stillen Thale:
  Gute Göttinn, o ich folge schon!
 
Sage, wie die Himmlischen dich ehren?
  Nenne deinen Götternamen mir,
Jede Morgenröthe soll ihn hören,
  Jeder Abendstern ein Lied von dir.
 
Ah! schon reicht sie mir die volle Schaale,
  Schon umschlingt mein Haar ein Blumenkranz,
Schon umleuchtet mich im stillen Thale
  Ein gedämpfter Stral von ihrem Glanz.
 
Ja, nun weiß ich deinen holden Namen. -
  Welch ein Nektar! welch ein Zaubertrank! -
Alle, die, o Freundschaft, zu dir kamen,
  Trinken deinen Becher lebenslang;
 
Trinken Lust und seliges Vergessen
  Aller Übel, aller ihrer Qual,
Trinken Muth, den Tartarus zu messen,
  Schiffen froh zum Elisäer Thal.