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Clara
(1861-
 
 Müller
1905)
 
 
 
Schlaf und Tod
 
Süß und wonnesam ist der Schlaf. -
In der strengen Schule des Lebens,
wo gleich unverständigen Kindern
wir die krausen, verworrenen Rätsel
mühsam zusammenbuchstabieren
aber nimmer den Sinn erforschen,
wo der Schmerz mit ehernem Griffel
Runen auf unsere Stirnen schreibt,
dünkt der Schlaf die Erholungsstunde
mir, die süße, köstliche Pause,
da die verschlossene Türe aufspringt
und statt dumpfigen Bücherstaubes
Sonnenstrahlen und Luft wir atmen ...
süß und wonnesam ist der Schlaf. -
 
Schlaf ist Vergessen, ist die Befreiung
von all den lastenden, quälenden Sorgen
um des Daseins traurige Narrheit,
um der Zukunft lichtloses Dunkel,
um das eine, selige Glück,
das gleich silbernen Wasserwogen
meines Lebens dornige Wüste
noch mit blühenden Blumen schmückte,
und nun haltlos wie Regentropfen
mir in der zitternden Hand zerrinnt. -
 
Süß und wonnesam ist der Schlaf,
aber eines noch däucht mich süßer:
nicht das Vergessen nur, - das Vergehen!
Nicht das Ausruhen, - nein, die Ruhe!
 
Sei willkommen mir, goldene Stunde,
die den Schüler gereisten Sinnes
aus der drückenden Mauern Enge
über die Schwelle hinaus in lichte
sonnendurchstrahlte Weiten führt - -
 
Sei gesegnet, du Götterbote,
der auf rauschenden Adlerschwingen
meine Seele aus Nacht und Dunkel
aufwärts trägt zu den fernen Höhn,
wo aus goldenem Schacht des Glückes
nie versiegende Quellen sprudeln! -
 
Dreimal süßer ist Schlaf, denn Wachen,
aber das Süßeste ist der Tod.