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Helmina von
(1783-
 
 Chézy
1856)
 
 
 
St. Johannes und das Würmlein
 
Johannes ging am hellen Bach
Und sah dem Lauf der Wellen nach,
Er schritt durch Gras und Blümelein
Und schaute wohl mit Liebe drein:
Wie frisch das blüht, wie hold zu sehn.
O Gott, wie ist die Welt so schön!
Die Blümlein lächeln allzumal,
Und Alles grünt und quillt im Thal,
Da ist kein Kraut, da ist kein Blatt,
Das nicht Gefühl vom Leben hat,
Des Seins sich jedes Würmlein freut
Und trüg' es noch so schlichtes Kleid,
Denn was nur Lebensfunken hegt,
Auch Gottes Liebe in sich trägt!
 
Wie nun Johannes liebend sinnt,
Ein Würmlein er am Boden find't,
Zwar schlicht und grau, gar klein gestalt't,
Johannes hätt's zertreten bald,
Da hebt er's auf vom Boden fein,
Und setzt es auf ein Blümelein,
Und spricht: O lebe, lebe nur,
Dir blüht ja auch die Frühlingsflur.
 
Das Würmlein fühlt sich kaum berührt,
Als es die Segenshand verspürt,
Entbrannt von reiner Liebesgluth
Es plötzlich lieblich leuchten thut.
Auch wuchsen bald ihm Schwingen an,
Die tragen's durch der Lüfte Bahn.
Durch Wipfel zieht's bei lauer Nacht,
Hell, wie ein blitzender Smaragd,
Auf Blumen liegt es weit und breit
Wie lichte Sternlein ausgestreut.
So ruht es friedlich süß im Grün,
In Liebe wird es still verglühn.