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Elisabeth
(1808-
 
 Kulmann
1825)
 
 
 
Korinne
 
Schon zweimal hatten alle
Bewohner Griechenlandes
Zu Delphi sich versammelt,
Und unter Beifallrufen
Die Sieger krönen sehen
Im Lauf' und Wagenkampfe:
Doch zweimal auch schon Pindar's
Erhabene Gesänge
Vermißt. Des Alters Schnee deckt
Das Feuerhaupt des Dichters,
Dem, ries'gen Flammensäulen,
Die in der Nächte Dunkel
Weit um sich strahlen, ähnlich,
Der Dichtung Glanzgeburten,
Von Menschen und von Göttern
Bewundert, einst entstiegen
Und einem unvermuthet
Erloschenen Vulkane
Gleicht Hellas erster Sänger.
 
Als er in Pytho's Mauern
Zum letzten Mal sein Lied sang,
Ward ihm der Preis, weil keiner
Mit ihm zu ringen wagte.
Und als ein ewig Denkmal
Steht seit der Zeit der Dreifuß,
Auf dem Apollo's Lob er
So oft besang, dem Throne
Des Gottes gegenüber
Im Heiligthum Apollo's.
 
Seit diese Götterstimme
Verstummte, wagten Sänger,
Die sonst aus Ehrfurcht schwiegen,
Der harrenden Versammlung
In sanften süßen Tönen,
Was Phöbus ihnen eingab,
Bescheiden zu dem Klange
Der Leier vorzusingen,
Zufrieden, wenn, wer Pindarn
Einst angestaunt, mit Zeichen
Des Beifalls ihnen horchte.
 
Ein Mädchen, dem die Götter
Zu hoher Schönheit Glanze
Die Gabe des Gesanges,
Und die noch höh're Gabe
Der Dichtung früh verliehen,
Tritt mit zwei Blumenkränzen
Beim Strahl der Abendsonne
Ins Heiligthum Apollo's:
Bekränzt Homer's Büste,
Bekränzt den Dreifuß Pindar's,
Und zwischen beiden knieend
Spricht sie mit Demuthsblicken:
 
»O du, bei dessen Liede
»Schon in den Kindertagen
»Ich oft der Lieblingsblumen
»Und meiner Lieblingstauben
»Vergaß, und dir in deine
»Aus dir erschaffnen Welten
»Mit kühnem Fluge folgte,
»Itzt an Zevs goldner Kette 1)
»Mit allen Göttern schwebte
»Und Erd' und Meer; itzt über
»Des Oceans Gewoge 2)
»Hinweg, den ehrnen Thoren
»Der Unterwelt mich nahte,
»Und unverzagt in Pluto's
»Graunvolles Reich hinabstieg; -
»Und du, der über alle
»Den Musen theure Sänger
»Nicht minder hoch emporragt,
»Als über alle Berge,
»Die thürmend ihn umstehen,
»Des delphischen Parnasses
»Gewölkumkränzte Scheitel:
»Sagt, Zöglinge der Wahrheit,
»Wär' wirklich denn der Menschheit
»Zartfühlendere Hälfte
»Durch einen Spruch der Götter
»Bestimmt zu ew'ger Kindheit?
»Obsiegten an dem Ufer
»Thermodons nicht einst Weiber 3)
»Dem stärkeren Geschlechte
»Selbst in des Krieges Künsten?
»Und Künsten, deren Quellen
»Der Seel' entströmen, sollen
»Auf ewig sie entsagen?
»Ihr über Neid und Scheelsucht
»Erhabene Naturen,
»Begünstigt durch Begeistrung
»Das muthige, doch edle
»Erkühnen eines Mädchens!
»Nicht siegen will im Kampfe
»Sie des Gesangs, nur retten
»Die Ehre des Geschlechtes.«
 
Es sinkt der Sonne Wagen
In die azurnen Wellen
Des Meeres itzt. Da dringet
Durch's weite Thor des Tempels
Ein Strahl von ihr, und ruhet
Verklärend auf dem Antlitz
Homer's. Ein sanftes Lächeln
Scheint in die ernsten Züge
Des Sängers sich zu mischen.
 
»Ich nehm' als Vorbedeutung
(Ruft hochentzückt Korinne)
»Des glücklichen Erfolges
»Dies Lächeln an, o Vater
»Der Dichtung, Gott des Wohlklangs
 
In wechselvollen Träumen
Verfloß die Nacht. Itzt tönet
Vom Kampfplatz her die Flöte,
Verkünderin des Anfangs
Der gottgeweihten Spiele.
 
Es eilet voll Begeistrung
Korinne zu der Bühne,
Wo schon zum Klang der Cither
Ein stattlicher Athener
Sein geistreich Lied gesungen,
Und die nun ein Bewohner
Der meerumfloßnen Chios
Betrat. Er sang, wie Pytho,
Das Schrecken der Umgegend
Am Fuße des Parnasses,
Von Phöbus Pfeilen hinsank,
Und wie zu seines Sieges
Verewigung Apollo
Die pyth'schen Spiele stiftet.
 
Es horchte die Versammlung
Dem Sänger mit Entzücken.
Da sah sie mit Erstaunen
Ein Mädchen sich den Richtern
Des Kampfes nahn, die Leier
In einer Hand, die Rolle
Mit ihrem, ihrer Eltern
Und ihrer Heimath Namen
Darreichend mit der andern.
 
Es winkten ihr die Richter
Die Bühne zu besteigen.
Und als den Geist der Hörer
Sie durch ihr Spiel gefesselt,
Begann mit einer Stimme,
Der Musen nicht unwürdig,
Zur Leier sie zu singen:
 
Am letzten Silberfalle
Kastaliens ruht Phöbus,
Und schaut mit stolzer Wonne
Auf die erlegte Pytho,
Auf seinen künft'gen Tempel,
Auf die unzähl'gen Pilger,
Auf ihre reichen Gaben
Und unsre Spiele nieder.
 
Da hört' er wie das Rauschen
Von eines Schwanes Flügeln
Dicht hinter sich. Er wendet
Sich schnell, und siehet Amor,
Den Bogen in der Hand, sich
Ihm nähern; es erklangen
Die Pfeil' im goldnen Köcher
Bei jedem Schwung des Gottes.
 
Mit spöttischer Verachtung
Betrachtet Phöbus schweigend
Chyterens Sohn, der emsig
Bald an dem Silberbogen,
Bald an dem goldnen Köcher
Voll Selbstgefallens tändelt.
 
»Ist euer so gepriesnes
»Cythere denn so sehr arm
»An Spielzeug, das dir anstünd',
»O Kind, daß du, des Tages
»Langwierig träge Stunden
»Zu kürzen, deine Zuflucht
»Zu Waffen nimmst, die wahrlich
»Nur unserm Arme ziemen?« -
 
Es opfern fromme Pilger
Auf unseren Altären
Was nur in Gold und Silber
Die Künste Schönes bilden;
Doch wagen wir zuweilen,
Zum Scherz, uns an was Größers,
Und suchen manchmal stolze
Besieger zu besiegen. -
 
Da nahm der Sohn Cytherens
Zwei Pfeile, einen goldnen
Mit scharfer Spitz' und einen
Aus stumpfem Blei. Der eine
Entflammt im Herzen Liebe,
Der andere zeugt Abscheu.
 
Er schnellte auf Apollo
Den goldnen Pfeil; den andern
Auf ein goldlockig Mädchen,
Das längs dem schönen Ufer
Des väterlichen Peneus
Der Spur des Wildes folgte;
Denn groß ist Amors Macht, und
Weit reichen seine Pfeile.
 
Da lodert Lieb' im Busen
Apollo's auf. Nun gnügt ihm
Sein Delphi, das sich täglich
Verschönert, und der Tempel
Nicht mehr, deß ew'ge Mauern
Voll Pracht sich heben. Rastlos
Zieht ihn der Drang des Herzens
Nach Tempe's Flur hinüber.
 
Da sah er Daphnen. Schöner
Als je die Liebesgöttin
Und ihre Töchter scheinet
Die Sterbliche dem Gotte.
Für Daphnen hätt' er willig
Dem Götterstand entsaget.
 
Doch Götter sind nicht minder
Das Spiel der Launen Amors.
Kaum sah den Gott das Mädchen,
Als Abscheu gegen ihn schon
Ihr Herz erfüllt. Sie fliehet,
Gleich eines Unthiers Anblick,
Den Gott, der unermüdlich
Die Fliehende verfolget.
 
»Bin ich etwan ein Räuber,
»O Nymphe, oder einer
»Der Hirten dieses Thales,
»Deß Armuth du verachtest,
»Du eines Gottes Tochter?
»Wiss', ich bin Zevs und Leto's
»Gepriesner Sohn; Dianens,
»Der du dich weihtest, Bruder.
 
»Flieh' langsamer, auch ich will
»Dich langsamer verfolgen,
»Damit kein Dorn, kein Stein dir
»Den zarten Fuß verwunde,
»Sieh mich erst an! dann magst du,
»Mißfall' ich dir, mich hassen.«
 
Umsonst. Sie flieht, und langt nun
Am väterlichen Ufer
Erschöpfet an: »O Vater!«
So ruft sie mit Entsetzen,
»Beschütze deine Tochter!
»Und kannst du nicht, so tilge
»Auf immer diese Reize,
»Die mir Verderben brachten!«
 
Der Wunsch ist kaum den Lippen
Entflohn, als unbeweglich
Ihr Leib erstarrt, mit Rinde
Sich deckend; Wurzeln schlagen
Die leichten zarten Füße,
Die Arme werden Äste,
Ihr fliegend Haar zu Laube,
Zum Lorbeerbaum wird Daphne.
 
Tief seufzte bei dem Anblick
Apollo. Endlich sprach er:
»Du wolltest meine Gattin
»Nicht sein, so sei mein Baum denn.
»Dein Laub bekränze stets mir
»Altar, und Haupt und Leier.« -
 
Hier schwieg Korinne. Neuheit
Des Stoffs, der Klang der Stimme,
Die Fertigkeit des Spieles,
Des Mädchens Muth und Schönheit
Entzückt die Meng'. Das Urtheil
Der Richter kaum erwartend,
Erkannte sie mit Einmuth
Als Siegerin Korinnen.
 
Schon zweimal hatt' ein Herold -
Korinnens, ihrer Eltern
Und ihrer Heimath Namen
Der Menge laut verkündet;
Da scholl am Eingang plötzlich
Der Ausruf: Pindar! Pindar!
Und alle wiederholen
Den Ausruf: Pindar! Pindar!
 
Mit eines Gottes Hoheit
Naht durch der Menge Reihen,
Die ehrfurchtsvoll zurücktritt,
Er sich dem Sitz der Richter,
Die alle sich erheben
Vor dem gekrönten Sänger,
Und spricht: »Nicht jungen Sängern
»Den Lorbeer zu entreißen,
»Kam ich hieher, o Richter!
»Ihr könntet nur aus Schonung
»Ihn geben für mein Alter.
»Laßt eines schönern Sieges
»Den Greis sich heut erfreuen,
»Des Sieges: neidlos jüngre
»Verdienste zu bewundern.
»Wer sollte eure Lenze
»Verschönern nach dem Tode
»Der alten Nachtigallen,
»Wenn ihr den Zauberstimmen
»Der jüngeren Bewundrung
»Und lautes Lob versagtet?«
 
Es reichten ihm die Richter
Den Lorbeerkranz. Es suchte
Sein spähend Aug' Korinnen,
Die gerne sich den Blicken
Der Meng' entzogen hätte.
Doch aller Augen ruhten
Auf ihr, und zeigten Pindarn
Die Siegerin. Da nahte
Mit lächelndheiterm Antlitz
Er ihr, den Kranz hoch haltend:
 
»Empfang' aus Pindar's Händen
»Den Kranz des Siegs, Korinne!
»Sei Thebens Stolz und Wonne,
»Wie Pindar es gewesen!«
 
So sprach er, und befestigt
Den Kranz auf ihrem Haupte.
 
Zwei unter einem Lorbeer
Entblühten Rosen ähnlich,
Auf denen Eos Thränen,
Sie noch verschönernd, zittern;
Steht mit hochrothen Wangen
Vor der Versammlung Blicke
Die glückliche Korinne.
 
 
1) Iliade 8 Ges. 18-27
 
2) Odyssee 11 Ges. 14-19
 
3) Die Amazonen
 
 
 

Anmerkung des Herausgebers K. F. von Großheinrich:
 
                facit indignatio versum,
                (Unwillen erzeugt Verse)
 
sagt Juvenal. Die uranfängliche Veranlassung zu diesem Gedichte mag wohl ein Streit gewesen sein, der zwischen der Verfasserin und einem von jenen Männern vorfiel, die, obgleich nicht ohne achtenswerthe Kenntnisse, dennoch keinen Begriff zu haben scheinen, daß die schönen Wissenschaften dem Staate nicht minder nöthig sind als die hohen Wissenschaften, und daß es gleichviel ist, ob erstere durch das zarte oder das ernste Geschlecht bearbeitet werden, wenn nur in den Arbeitern wahres Talent vorhanden ist. Wir wohnten diesem Streite bei, worin die Verf. mit schlagenden Gründen bewies, »daß das Nützliche das Schöne nicht ausschließe, und daß das Weib dieselben Rechte aus Ausübung der schönen Künste habe wie der Mann. Auf Fächer, die nur in Männerhänden gedeihen können, hätten sie ja von jeher Verzicht gethan, obwohl der Fall (setzte sie hier auf stachelnde Art hinzu) nicht so sehr selten eintreffe, daß der hochgestellte Mann bei seinem Weibe sich Raths erhole, und was mehr ist, seines Weibes Rath befolge.«
 
Zur Zeit, als sie dieses Gedicht schrieb, war ihre vorzügliche Lektüre, oder besser gesagt, ihr Hauptstudium Pindar. Nur Pindar vermochte nach ihrer Meinung Homern das Gleichgewicht zu halten, und »ist um ein gutes Theil schwerer als Homer (setzte sie scherzend hinzu).« Auf diese Art erklärt es sich, daß sie Pindar's Art, wo Strophe, Gegenstrophe und Epodon zum Vorschein kommen, in Korinnens Liede nachzuahmen sich entschloß. Die Stanze hat also hier einen Umfang von zweiundzwanzig Versen, acht für die Strophe, acht für die Gegenstrophe und sechs für das Epodon, nach welchem die zweite Stanze anfängt, und den nämlichen Kreis von zweiundzwanzig Versen bis zur dritten Stanze durchläuft. Wir sind geneigt zu sagen, daß ihr Verfahren strenger ist als selbst Pindar's, bei dem der Sinn nicht immer mit der Strophe, oder der Gegenstrophe, oder dem Epodon sich endigt, sondern oft in's Gebiet der folgenden Stanze hinüberschreitet. Bei ihr hingegen endigt sich der Sinn in jeder der drei Unterabtheilungen der Stanze.
 
Hier haben wir ein Beispiel, daß die Verfasserin nicht minder glücklich in Gleichnissen als in Vergleichungen ist.