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Elisabeth
(1808-
 
 Kulmann
1825)
 
 
 
Sappho
 
 
Auf dem leukadischen Felsen. Rechts und links Wald, hier licht, dort dunkel. Hinter dem ins Meer hinausragenden Felsen erhebt sich der berühmte Apollotempel mit offnen Säulenflügeln, wo in den Zwischenräumen von Säule zu Säule die Standbilder der berühmtesten Dichter früherer Zeiten erscheinen. Erste Morgendämmerung. Der dem Untergang nahe Mond im Westen.
 
 
 
Erreicht hab' ich die Stätte,
Die deine Leiden alle,
O armes Herz, bald endet.
 
Sei mir gegrüßt, Apollo,
Auf deinem luft'gen Felsen,
Der über Zwillingshaine,
Die, Gärten gleich, abwechselnd
Hier licht sind und dort dunkel,
Sich stolz erhebt, die Wolken
Mit seiner Stirn berührend;
Sei mir gegrüßt, in deinen
Rings-offnen Säulenhallen
In deiner Glanzumgebung
Von Fürsten des Gesanges!
 
Du, Gott des Lichts und König
Des Liedes und der Leier,
Warst meines ersten Sieges
Und der Vergött'rung Zeuge,
Womit dein feiernd Delos
Mein junges Lied belauschte!
Und deinem eignen Ohre
Vernehmbar, deine Tochter
Mich nannte, des Erzeugers
An Kunst und Reizen würdig!
Wer ahnte damals: Sappho,
Der ganzen Hellas Abgott,
Werd' in der Jahre Blüthe,
Dem Grame zu entgehen,
Zu diesem Felsen flüchten,
Dem Sitze der Verzweiflung?
 
O meiner schönen Jugend
Zu schnell entflohne Tage!
Wo ich, der Kunst nur lebend,
Die Zierde war der Feste,
Die Königin der Mähler;
Aus jedem frohen Reigen
Nur meine Lieder hörte;
Auf Blumen durch die Straßen
Beim Zuruf der Bewohner
Die Sängerin einherzog;
Und in den heil'gen Hainen,
Ja in der Götter Tempel
Mein Standbild ich erblickte,
Und Lesbos seinen Münzen
Der Götter Bild und meines
Vereint aufprägte! Sappho,
Des zarteren Geschlechtes
Gerechter Stolz und Sehnsucht
Der Jünglinge und Männer,
Die stets von meiner Jugend
Und meiner Lieder Reizen
Gleich stark gerührt, den Preis mir
Des Kampfes zuerkannten,
Selbst wenn Alcäus kämpfte,
Der König im Gesange!
 
»Längst hat mich deine Schönheit
»Besiegt (so sprach der edle,
Mit Ehrfurcht sich mir nahend,
Als einst den Preis des Kampfes
Mir zuerkannt die Richter),
»Und heut besiegtest du mich
»Auch im Gesang; laß künftig,
»An deinen Siegeswagen
»Gefesselt, mich dir folgen,
»Und alles mit dir theilen,
»Was Zevs den beiden Urnen
»Entschöpfen mag.« Ich aber
Wies spottend seine Liebe
Zurück. Da sprach im Grame,
Wie ahnend, er die Worte:
»Dir mögen nie die Götter
»So abhold sein, o Sappho,
»Daß, einer deines Ruhmes
»Unwürd'gen Liebe fröhnend,
»Du je Alcäens Liebe
»Zurückewünschest!« Zürnend
Wandt' ich von ihm die Blicke;
Doch bald zerschlug der Tod ihm
Des Lebens und der Liebe
Verhaßte, schwere Fesseln.
 
Mich aber zwang, ihn rächend,
Der Liebe Gott auf Phaon
Die widerspenst'gen Blicke
Zu senken. Wie verwandelt
Komm' ich mir vor; ein Traumbild
Scheint mir mein vorig Leben,
Deß ich mich kaum erinnre.
Den Zauber zu vernichten,
Ergreif' ich meine Leier,
Und will die Ruhmgesänge,
Die ich einst sang, erneuern.
Doch ungeahnte Töne
Entquellen itzt der Leier,
Die mir das Herz mit Wollust,
Das Aug' mit Thränen füllen.
Ein ungekanntes Feuer
Durchzittert mir die Adern,
Und angefangne Worte
Ersterben auf der Lippe;
Und Ruhm, den Abgott, dem ich
Der Jahre Lenz geopfert,
Und alle Ideale
Der Kunst seh' ich, gestürzet,
Der herrscherischen Liebe
Zum Fußgestelle dienen.
Vor meinen starren Blicken
Schwebt, Sonnenglanz verstrahlend,
Ein götterähnlich Wesen
Von gleichenloser Schönheit;
Das All zerfließt in Schatten
Zum Hintergrund des Bildes.
Verloren in sein Anschaun
Verlebt' ich viele Tage,
Verlebt' ich wenig Stunden,
Ich kann es nicht bestimmen;
Denn alles Maß der Dauer
War mir entrückt. Die Zeit ist
Das träge Kind der Trauer.
 
O jahrelange Tage,
Die ich seit diesem Traume
Verlebt! O Tag der höchsten
Namlosen Qual, der Phaon
Mir sorglosen entführte!
Der aus den goldnen Sälen
Des Himmels in der Erde
Entsetzensvolle Wüste
Mich niederwarf! Zwar hebet
Mit mitleidsvollen Armen
Die Hoffnung von dem Falle,
Dem unermeßlich tiefen,
Mich auf, und mir die bleiche,
Von Thränen nasse Wange
Liebkosend, spricht sie tröstend:
»Er kehret wieder, Sappho!
»Ihn stahl auf Augenblicke
»Dir eine rasche Laune,
»Von denen selbst die besten
»Nicht frei sind. Wie vermöchte
»Er Sappho zu verlassen,
»Der Schönheit und des Ruhmes
»Gekrönte Tochter? Reuig
»Und liebender erblickst du
»Ihn heute noch, vielleicht schon
»Im nächsten Augenblicke
»Zu deinen Füßen wieder.«
Es endete die Sonne
Den Strahlenlauf, und hüllte
Sich in umwölkte Nacht ein,
Mit ihr mein schwankend Hoffen.
Sie selbst entstieg auf's neue
Den Sterblichen zur Wonne
Dem Schooß der Nacht; mir aber
Naht, einem Graungespenst gleich,
Die tödtende Gewißheit:
Dahin für mich sei Phaon.
 
So sei mir denn willkommen,
O Stätte des Entsetzens!
Mir hoffnungslosen aber
Ein Tempe, freundlich lächelnd
Wie das Gefild der Heimath.
Von alten Qualgefühlen
Des Herzens ist mir keines
Auf deine Höh' gefolget;
An deinem Fuße blieben,
Dem Ziele der Verfolgung,
Die nimmermüden Schlangen
Scham, Eifersucht und Schwermuth
Zurück; es tönet nicht mehr
Mir im erschreckten Ohre
Der Lästerung, des Spottes
Tiefschneidendes Gezische.
 
 
(Der Mond am westlichen Himmelsrande; die ersten Sonnenstrahlen im Osten.)
 
 
 
Selbst Phaons Bild erscheint mir
Nur wie aus trüber Ferne,
Gleich diesem untergeh'nden
Erloschnen Mond, dem stolzen,
Die ganze Himmelsebne
Beherrschenden Gestirne
Der Nacht.... Sieh, schon erhebet
Im Osten sich die Sonne!
 
Sei mir gegrüßt, des Lichtes,
Des Lebens und der Freude
Vollströmend-unversiegbar-
Beseligende Quelle,
Sei mir zum letzten Male
Gegrüßt, allgüt'ger Phöbus!
Geeilt hatt' ich im Dunkel
Der Nacht mein elend Dasein
Zu endigen, befürchtend,
Beim Anblick dieses Weltalls,
Von deinem jungen Lichte
Vergoldet, meinen ernsten
Entschluß vielleicht noch wanken
Zu sehn. Doch du, mein grausam
Geschick vielleicht bedauernd,
Und die zahllosen Schrecken
Auf meinem Weg zu Pluto's
Gefürchtetem Gebiete
Mir zu verschleiern wünschend,
Entrissest dich dem Arme
Der Meeresgöttin früher,
Und strömst aus voller Urne
Mitleidig deine Strahlen
Auf meinen Pfad zur stummen
Und ew'gen Nacht hernieder.....
 
 
(Anfang einer in diesem Theile des griechischen Meeres
nicht ungewöhnlichen Naturerscheinung.) 1)
 
 
 
Doch welch ein Rosennebel
Bedeckt des Meeres Fläche!
Und welche Wunderscenen
Entdeckt darin mein Auge!
 
Zwei anmuthsvolle Haine,
Von hundert lichten Stellen
Durchschnitten, nähern steigend
Sich einem Felsenhügel,
Wo stolz und weithinschattend
Zwei lange Säulenhallen
Sich heben; und Gestalten
Von höherm Wuchs und Ansehn
Als Sterbliche die Hallen
Erfüllen. Alle halten
Die Leier oder Cither
Im Arm.... O ich erkenne
In diesen Glanzgestalten
Der Vorwelt hohe Sänger!
Ich sehe Linus, Orpheus,
Thamyris und Homeros!...
Elysium liegt vor mir!...
Ich hör' der Leier Töne!...
Und außerhalb der Hallen,
Mir näher, und am Rande
Des ungeheuern Felsen,
Auf dem die Hallen ruhen,
Und der hoch über einem
Bewegten See vorspringend
Sich wölbet; steht ein Jüngling
In festlichem Gewande,
Mit einem Kranz im Haare,
Und blickt nach mir, und winkt mir
Mit ausgestreckten Armen...
O, das bist du Alcäus!...
Du denkest noch, und zornlos,
An Sappho?!... Horcht! ich höre
Des holden Mundes Worte!
 
 
(Im stillen Wahnsinn glaubt sie folgende Worte zu hören, die sie nachspricht.)
 
 
 
Eil' unverzagt hernieder
In's stille Reich der Schatten,
O langersehnte Sappho,
Du Fürstin des Gesanges!
 
So weit der Strahl der Sonne
Nur reicht, ist alles Wechsel;
Doch hier im Land der Schatten
Ist alles ew'ge Ruhe!
 
Steig' unverzagt denn nieder
Ins stille Reich der Schatten,
Wir alte harren deiner,
O Fürstin des Gesanges!
 
 
(Nach einigem Nachdenken antwortet sie:)
 
 
 
O nehmt, der Vorwelt Sänger,
Ihr Zierden aller Zeiten,
O nehmt die arme Sappho
In euern hehren Kreis auf!
Ich eil' in eure Haine,
Ich eil' zu eurer Ruhe!
               (Sie stürzt sich ins Meer.)
 
 
 

1) Von den Italienern Fata Morgana genannt. Die aufgehende Sonne im Rücken, sieht man vor sich auf dem Meere ein Abbild der hinter dem Betrachter befindlichen Gegenstände, oft sieht er sein eigenes, und alles in Bewegung.