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Elisabeth
(1808-
 
 Kulmann
1825)
 
 
 
Abendempfindung
 
Oft ganze Nachmittage
Horch ich am Waldessaum
Des Kuckuks lauter Klage
Von seinem hohen Baum.
 
Mein Blick irrt durch der Wiesen
Mit Gold durchwirktes Grün,
Bis wo die blauen Riesen
Im Abendrothe glühn.
 
Rechts jene Bergesstirnen,
Die, sich Titanen gleich
Gesellend den Gestirnen,
Bedrohn das Aetherreich;
 
Und dort zu meiner Linken
Der hehre Feuerball,
Der immer wächst im Sinken,
Wie die Lawin' im Fall;
 
Der Anblick dieser Scene,
Der Landschaft höchste Zier,
Statt Lust, die ich ersehne,
Erweckt nur Wehmuth mir.
 
Das Sein wird mir zum Traume,
Seh' ich mit Einemmal
Und in demselben Raume
Zwei Bilder von Verfall:
 
Den Feuerball verschlungen
Hat unheilfroh die Flut,
Und Dämmerungsgrau verdrungen
*)
Des Bergreihns Purpurglut.
 
Verstummt sind alle Klänge.
Wie todt sind Feld und Wald,
Und Nachtigallgesänge
Und Kuckuksruf verhallt.
 
Sein Leichentuch verbreitend,
Sargt Nebel ein die Welt;
Und, trüb am Himmel schreitend,
Hellt Mond das Leichenfeld.
 
 
 
*) Wenn Klopstock, ohne Noth, anstatt gerächt, gerochen schreibt, darf ich doch wohl, fast nothgedrungen durch den Reim, anstatt verdrängt, verdrungen sagen.
                                        Anm. d. Verf.