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Auguste
(1815-
 
 Kurs
1892)
 
 
 
Die Wellenbraut
 
Wenn der Schiffer Abends gleitet
Auf des Meeres klarer Fluth,
Wenn die Netze ausgebreitet,
Und der Jüngling träumend ruht;
Da vernimmt er aus der Tiefe
Wunderlieblichen Gesang,
Und ihm ist, als ob ihn riefe
Der geheimnißvolle Klang.
 
»Tief im Meeresgrund gefangen
Bin ich armes, bleiches Kind
Nimmer fächelt meine Wangen
Hold und süß der Abendwind;
Nimmer schau ich Baum und Blüthen
Und die Erd' ist doch so reich!
Well'umflossen muß ich hüten
Der Korallen starr Gezweig.
 
Perlen schimmern mir zum Hohne,
Gluthen sprühn Demanten aus,
Denn die Gaben jeder Zone
Einet mein krystall'nes Haus.
Strahl der Sonne, Sternenschimmer,
Mondesglanz ist fern dem Blick,
Und die Tiefe sendet nimmer
Ihren Raub dem Licht zurück.
 
Als der Liebste kam gezogen,
Heim zu führen seine Braut,
Gab das Rauschen nur der Wogen
Antwort auf der Sehnsucht Laut.
Aus dem kalten Fluthenbette
Dringt kein Liebeston empor,
Und er sucht Vinetas Stätte,
Die das Meer zur Beut' erkor.«
 
Also tönt das holde Singen
Und der Jüngling schweigt und lauscht,
Bis die Töne süß verklingen,
Leise nur die Woge rauscht.
Zu dem Kreise der Genossen
Kehrt er heim in tiefer Nacht,
Trübe sinnt er und verschlossen
Und sie flüstern bang und sacht:
 
Weh! der Arme ist verloren!
Zaubersang hat ihn bethört,
Er, am heil'gen Tag geboren,
Hat die Wellenbraut gehört.«
Wo Vinetas Trümmer ragen
Hoch empor aus klarer Fluth,
Hört der Schiffer oft die Klagen,
Tief entzündend Liebesgluth.
 
In die hellen, kalten Wogen
Wirft er Blüth' auf Blüth' hinab,
Bis ihn Sehnsucht nachgezogen
In Vinetas Fluthengrab.
Doch die bleiche Wellenschöne
Hört mit Klagen nimmer auf;
Sehnend, lockend ziehn die Töne
Immer noch zum Licht herauf.