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Sophie
(1770-
 
 Mereau
1806)
 
 
 
Lina und der Geist
 
Am dunkeln Buchhaine,
Der Einsamkeiten Schoß,
Saß ich beim Abendscheine
Auf einer Bank von Moos.
 
Der Genius der Lüfte,
Bewegt der Locken Blau,
Und schüttelt süße Düfte,
Auf die entschlaf'ne Au.
 
Der Mond vom Bergesgipfel,
Besäumt am Buchenhain
Die unbestimmten Wipfel
Mit perlengrauem Schein.
 
Es herrschte tiefes Schweigen
Im Tale und am Bach;
Rings war in grünen Zweigen
Kein Zephir nicht mehr wach.
 
Und alle Vögel schliefen;
Im Wald nur tönt es weit,
Als seufzt' in seinen Tiefen,
Der Geist der Einsamkeit.
 
Ich wiegte mich in Träumen;
Es neigte sich mein Sinn
Zu wunderbaren Räumen
Des Geisterlebens hin.
 
Da rauscht es in dem Haine,
Und eine Luftgestalt
Kam blaß im Mondenscheine
Zu mir heran gewallt.
 
Wie dünner Nebelschleier
Umfloß sie das Gewand,
Sie winkt mit stiller Feier
Mir traurig mit der Hand.
 
Ich folg' ihr ohne Grauen,
Bedachte mich nicht lang,
Mir selbst konnt' ich vertrauen,
Und so war mir nicht bang.
 
Sie führte durch's Gedränge
Von Büschen, das ihr wich,
Durch lange, dunkle Gänge,
In eine Halle mich.
 
Hier strecket sich ein Hügel
Sanft an den Boden hin;
Rings weh'n mit dunklem Flügel,
Zypressen über ihn.
 
Und wie wir da verweilen,
Naht sich die zwölfte Stund':
Da schien der Geist zu eilen,
Und sprach mit blassem Mund':
 
»Dir neig' ich an dem Rande
Des Grabes dankbar mich!
Du lösest meine Bande,
Und ich bin frei durch dich.
 
Der Erde dunkle Auen
Durchirrte ruhlos ich;
Oft sah mit stillem Grauen
Der bange Wandrer mich.
 
Mein Irren wär' zu Ende,
- So wollt' es das Geschick -
Wenn ich ein Wesen fände,
Voll Mut zu meinem Glück,
 
Das nicht im Herzen zagte,
Stets auf sich selbst vertraut;
Dem, wenn ich Bitten wagte,
Nicht für dem Geist gegraut.
 
Mit bittender Gebärde
Winkt' ich so manchen schon,
Daß mir Erlösung werde.
Doch alle floh'n davon!
 
Nur du mit heiterm Herzen,
Voll Mut zu meinem Glück,
Du endest meine Schmerzen,
Und frei kehr' ich zurück.«
 
Er hörte auf zu sprechen,
Doch schnell rief ich ihm zu:
»Sag' mir, für welch' Verbrechen
Entbehrtest du der Ruh'?«
 
»Gern still' ich dein Begehren«,
Sprach der zufried'ne Geist,
»Bis mich zurücke kehren,
Die Geisterstunde heißt.
 
Es hüllte mich im Leben
Die reizendste Gestalt.
Von Lieb' und Glück umgeben,
Blieb ich im Herzen kalt.
 
Die Schönste unter allen
Ward in mir anerkannt;
Es war, mir zu gefallen,
Jed' Männerherz entbrannt.
 
Das sah ich mit Vergnügen.
In Selbstsucht eingehüllt,
hätt' ich mit meinen Siegen
Gern eine Welt erfüllt.
 
Ich betete im Herzen
Mein eignes Bild nur an;
Mir waren fremde Schmerzen
Und fremde Freude Wahn.
 
So füllt' ich nur mit Leiden
Der andern Lebenslauf,
Und opferte mit Freuden
Sie meinen Launen auf.
 
Mein Unrecht abzubüßen,
Ward mir im Schattenland,
Von strengen Richterschlüssen,
Die Strafe zuerkannt:
 
Zu schweifen ohne Ende,
Durch Nacht und Einsamkeit,
Bis ich ein Wesen fände,
Gefühlvoll fremden Leid.
 
Die Weiber, die im Leben,
Wie ich gesündigt, schwer,
Sind gleich gestraft; sie schweben
Als weiße Frau'n umher.«
 
Drauf sagt' ich: »o! verweile
Noch einen Augenblick,
Und sage mir in Eile,
Wie straft denn das Geschick
 
An Männern die Vergehen,
Die, eitler Selbstsucht voll,
Wir oft begehen sehen?« -
Da sprach der Geist mit Groll:
 
»Die Richter in den Reichen
Der blassen Schatten sind
für and're ohn' Erweichen,
Doch eignen Fehlern blind,
 
Und wie auf Erden, fehlet
Ein Vorwand ihnen nicht,
Der leicht ihr Unrecht hehlet,
Der Menge Sinn besticht.
 
Denn, - sagen sie den Frauen
In Edens Götterschein, -
Sprecht selber, in Vertrauen,
Was hilft's euch, selig sein?
 
Geh'n wir, wenn Männer fehlen,
So strenge in's Gericht,
Dann sieht von Männerseelen
Nicht eine Edens Licht!«
 
»Wie?« rief ich traurig, »Keine?
Dann wäre Liebe Tand!
Wohl mir, ich kenn' die eine!«
Da faßt mich eine Hand,
 
Und von der Dorfuhr tönet
Der Geisterstunde Schlag;
Der Geist entflieht und stöhnet;
Ich fühl' mich plötzlich wach.
 
Es strahlt in hoher Ferne
Des blauen Himmels Raum,
Ich seh' die hellen Sterne,
Und es entweicht der Traum;
 
Und meinen Arm umschließend,
Fühl' ich des Freundes Hand,
Der sorglich mich vermissend,
Nun schlafend hier mich fand.
 
Zu prüfen sein Gewissen,
Erzähl' ich mein Gesicht;
Doch er sagt unter Küssen:
»Die Liebe zweifelt nicht!« -