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Sophie
(1770-
 
 Mereau
1806)
 
 
 
Natur
 
Ein Segensstrom wallt durch die blauen Lüfte;
dem Hain entrauscht die frohste Symphonie.
Vom Liebeshauch des Frühlings sanft bezwungen,
zu neuer Wirksamkeit emporgedrungen,
eint alles sich zu süßer Harmonie.
 
Ich stimme mit in deine Jubelchöre,
Natur; ich störe deine Feier nicht.
Durch dich bin ich auf ewig dir geboren,
froh hab' ich ew'ge Liebe dir geschworen;
und wehe dem, der diese Bande bricht!
 
Ich wär' ein Vorwurf deiner Freudenfülle,
ein Sterbeton in deinen Brautgesang? -
und könnt' es seh'n, mit gramerfüllten Blicken,
wie, überstrahlt vom himmlischen Entzücken,
der Frühling dich mit Liebesarm umschlang?
 
Von deiner Allgewalt, Natur, bezwungen,
bring' ich dir jeden Schmerz zur Opferung.
Hier, wo die Lüfte Segen niederregnen,
wo alle Kräfte freudig sich begegnen,
hier wäre Schwermut feige Lästerung.
 
Vor dir, Natur - wie fliehen die Dämonen,
durch die ich selbst mir meine Ruhe stahl! -
Bedürfnisse, die dich nicht Mutter nannten,
Begehrungen, die keine Grenzen kannten,
verlöschen all' in deinem Wonnestrahl.
 
Wer könnte noch dich dumpfer Trauer weihen,
im Hain von sanfter Hellung überwallt,
wo süße Düfte meine Nerven reizen,
nach meinen Blicken tausend Blumen geizen,
und Freude süß aus allen Wipfeln hallt?
 
Ich stehe da, von Hochgefühl durchdrungen,
und fühle wieder meines Lebens Glück.
Verschwunden waren meine süßen Träume,
und schon versank in lebensleere Räume
der Hoffnung Stern vor dem bewölkten Blick.
 
Hier fühl' ich mich, von allem Gram entladen,
entflammt, durchbebt von neuer Lebenslust.
Die Welt verheißt, mich wieder zu beglücken;
ich sinke still mit seligem Entzücken,
Natur, geheilt an deine Mutterbrust.