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Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
Mein Ich
 
Du Denkender, der du so wundersam
In diesem Nervenlabyrinthe wohnst,
So tief versteckt, daß noch kein Hippokrat
Noch kein Galen dich jemahls ausgespäht;
Du Fühlende, die du so innig dich
Mit diesem Denkenden so fest vereint,
Daß keine Macht dieß heil'ge Bündniß trennt,
Daß selbst kein Tod zu scheiden euch vermag,
Daß ihr nur durch einander lebt und wirkt,
Und Leid und Freud' und Wonn' und Sehnsucht theilt,
Und alles nur selbander recht beginnt.
Du Denkender, der du das Heiligthum
Der Fühlenden erleuchtest und verklärst,
Und traulich dich an ihrer Quelle labst;
Und o! der edlen Kräfte ganze Schaar,
Die Prüfende, mit Wag' und Schnur versehn,
Die Wählende und die Beschließende,
Die Sondernde und die Vergleichende.
Die Wollende, stets wach' und rege Kraft,
Die Schaffende, die jeden leeren Raum
Mit bunt gewebten Zauberbildern schmückt;
Und du, unendliches Gedankenheer,
Zahlloser noch als aller Küsten Sand,
Beflügelter noch als der Pfeil des Lichts,
Der doch des Schalles Trägheit eilend lacht,
Der tapfer doch den Sturmwind überfliegt;
Von wannen, o von wannen seyd ihr her?
 
Der wüste Staub kann nicht des Himmlischen,
Er kann nicht Vater dieses Sohnes seyn - -
Wenn man der Feigen nie von Dornen las,
Und keine Trauben von der Distel je;
Wenn dieser Wandelstern, Jahrtausende
Erleuchtet von der hehren Sonne schon,
Von ihr belebt, von ihr erwärmt, doch nie
Zur Sonne ward, und nimmer werden wird,
Sie immer Sonne bleibt, nie Erde wird. - -
Was hat ihr Strahl auch mit dem Staub gemein,
Auf den er Freud' und Leben täglich gießt,
In dessen Dunstkreis, den er zum Gewand
Sich ausersah, sein Glanz sich mildernd bricht?
 
Hier unten, nein, liegt deine Heimath nicht,
Du Himmelsfunke, der sich dieß Gewand
Von Nerv' und Sehn' und Adern auserkohr,
Und seinen Glanz durch diese Hülle strahlt,
In dieses Angesichtes Zügen bricht.
Verkünd' es uns, von wannen bist du her?
Du Göttlicher! wo strebst, wo eilst du hin? -
Der Staub gebar, der Staub verschlingt dich nicht;
Du bist aus fernem, unbekanntem Land,
Und strebst nach fernen Regionen stets -
O, die ihr wähnt, hier unterm Sirius
Sey dieses Göttersohnes letztes Erb',
Geht, reist den runden Erdball dreymahl rund,
Durchstreift, so oft ihr wollt, den Ocean,
Und weilt in allen Archipelagen,
Verzeichnet von dem Pilze bis zur Palm',
Vom Steinmoos bis zur Zeder, was da wächst;
Belauschet alles, was da schwimmt und kriecht;
Verfolgt die Gems' in ihrer Wolke Schooß,
Auf ihrem Felsenthron von Kluft zu Kluft;
Erspäht des Adlers und des Zäunerts Nest;
Verfeinert euer Auge tausendfach,
Schaut ungesehne neue Welten noch,
Ja dringt, so tief, so tief ihr immer könnt,
In der Organisirung innern Kern.
Stellt alles wohl in Reih' und Glied, und nennt
Bey ihrem Nahmen alle Kreatur.
Klassifiziert und ordnet, was ihr wißt,
Verkündigt auf ein Härchen den Moment
Wo Venus dunkelnd durch die Sonne zieht;
Wo Luna uns des Bruders Antlitz birgt,
Und selbst am hellen Mittag uns behend'
In dunkle Nachtgewande schaudernd hüllt.
Meßt dem Kometen mit dem droh'nden Haar
Die lange, lange Wandelbahn genau,
Gebietet, wenn er wiederkehren soll.
Meßt alle Räume durch, von Stern zu Stern.
Bereist der lichten Straße Sonnenwelt
Mit wohl gewaffnetem, verlängtem Blick.
Verfolgt den Strahl auf seiner Bahn zu uns.
Berechnet, welche Zeit ein Tellussohn
Der Sonne Bürger zu besuchen braucht.
Sagt, wenn des Mondes Hekla dampfend dräut;
Erschöpft den tiefsten Born der Wissenschaft,
Erklimmt die steilste Höhe aller Kunst;
Verwandelt kühnlich schaffend allen Stoff,
Gebt allem, was da ist, erneute Form,
So, daß ihr selbst den Urstoff nicht mehr kennt.
Wühlt aus der Erde tiefstem Schooß herauf,
Was sie der stürmenden Begier verbarg;
Stellt's triumphierend an der Sonne Licht,
Daß ihr mit ihrem Strahl wetteifernd glänzt.
 
Steigt in der Labyrinthe tiefstes dann,
Steigt forschend in den Menschen selbst hinab;
Entwickelt, wie ihr könnt, der Kräfte Keim,
Späht unermüdet des Gedankens Born,
Späht der Empfindung tiefer Quelle nach,
Sucht emsiglich des Wollens Triebrad auf;
Gebt der beflügelten Gedankenschaar
Gesetz und Regel - und vollendet ganz,
Was immer euch von oben ward vergönnt.
Und wenn ihr forschend alle Reiche nun
Der Luft, des Meers, der Erde all durchstreift,
Und alle Tiefen, alle Höh'n erstrebt;
Verkündet uns, ob ihr es funden habt,
Das Ziel der heißen Sehnsucht?
Ob ihr nicht unbefriedigt, unerquickt,
Dem freudesatten Könige nicht gleich,
Bekennen müßt des Eitlen Eitelkeit?
O sagt, ob ihr des Erdenlebens Maß
Zu eures Daseyns Schranke machen könnt?
Die Welt von Kräften, die in euch sich regt,
Dem Eintagswesen zugemessen glaubt?
So schafft ihr nicht, - die ihr doch Thoren seyd
Im Angesicht der ew'gen Weisheit - so
Verschwendet ihr der Kräfte Reichthum nicht,
Braucht große Mittel nicht zu kleinem Zweck,
Berechnet Kraft und Dauer eures Werks;
Baut keine Laub' auf Felsengipfeln je,
Nicht ewige Paläst' im Rosenhain. -
Auch die Natur lehrt uns vom Anbeginn
In allem ihrem Werk ein Andres: - sie
Versah mit Löwenkräften nicht das Lamm,
Mit Adlerschwingen eine Mücke nicht;
Dem Maulwurf, der im Boden lebt und stirbt,
Versagte sie den Sinn fürs hehre Licht.
Die Auster schloß sie in ein steinern Haus,
Und schmiedet' es fest an den starren Fels,
Damit sie nicht gelüste beßren Glücks.
Wenn schaut der träge Frosch im faulen Sumpf
Voll Sehnsucht zu der Morgenwolk' hinauf,
Worin der Lerche früher Hymnus tönt? -
Wenn trauerte die arme Schildkröt' je,
Daß ihr des Rosses Schnelligkeit versagt? -
Nein, Daseyns froh wird alle Kreatur;
Genießt mit ganzem Sinn, was ihr verliehn,
Und elend nicht durch Übermaß der Kraft,
Verschleudert sie ihr kurzes, kurzes Seyn
In nutzenlosem, eitlem Streben nicht - -
 
Der Mensch, der räthselhafte Mensch allein
Ist ein Ephemeron, mit Götterblick
In die Gefilde der Unendlichkeit,
Mit Götterkraft für Ewigkeiten - Er
Er nur allein soll, weil er lebt und denkt,
Nach seines Daseyns tief verborgnem Zweck,
Wie nach versunknen Schätzen, graben? - soll
Auf seines kurzen Hierseyns Frage nie,
Soll nirgend nirgend Antwort finden? - Doch,
Der tiefe Denker spricht ihm tröstend zu:
 
»Du bist ein Theil des Ganzen: nur an dem,
Nur an der Gattung magst du Zwecke spähn;
An ihr verklärt der große Weltgeist sich;
Das Einzelwesen schließt sich nur als Glied
Der unabsehbar großen Kette an -
Getrost! wenn deine Generation
Und du das aufgesteckte ferne Ziel
Durch trübe Nacht nur dunkel schimmern sehn:
Die Menschheit strebt doch endlich wohl hinan,
Veredelnd sich, Jahrtausende hindurch:
Da Ganze muß, enthüllt im großen Plan
Vor aller Geister Blicken ausgestellt,
Rechtfertigend uns lösen das Problem.« -
 
Das Ganze? - o ich selbst, ich selbst bin
Ein Ganzes, bin mir selber eine Welt, -
Bin mehr als Zack' am großen Rade; ich
Bin selber Spindel einer ganzen Uhr,
Selbst meines kleinen Schiffleins Steuerer;
Mir gnügt das Loos des todten Sandkorns nicht,
Das eine Meeresküste bilden hilft; -
Nein, nein, die Kraft, die denken mir gebot,
Die wollend mich, die strebend mich gewollt,
O die den Durst nach ew'gem Denken mir,
Nach ew'gem Seyn so tief, so heiß entflammt,
Nein, die verdammt ihr trautes Lieblingskind,
Nach solchem Seyn, zum öden Nichtseyn nicht. -
Und kann es aller Geister Hüllen je
An Spielraum mangeln? schwebt im weiten Blau
Vor deinen Augen ein unnennbar Heer
Von Erd- und Mond- umkränzten Sonnen nicht?
 
Nein, Psyche, nein, umsonst beflügelten
Die Himmlischen dich in der Heimath nicht:
Durch mancher Thorheit traurig Labyrinth,
Durch manches Läut'rungsfeuer treu geführt,
Gelangst du friedlich in dein Vaterland, -
Und schaust das Land des Irrthums unter dir.
Was kümmert's, Psyche, dich, auf welchem Stern
Ein neues Leben einst für dich beginnt,
Wenn nur die Himmlischen dich wieder rufen, dich,
Die wandelnsmüde Erdenpilgerin,
Nach langem Irren endlich, endlich nur
In ihren Arm als Lieblingskind empfahn! -