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Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
Die Nachtigall und die Eule
 
Eine Nachtigall im dichten
Erlenbusche sang dem lichten,
Schönen Abendstern ihr Lied.
 
Deß ereifert sich die Eule
In dem alten Kirchenthurm,
Und ihr fürchterlich Geheule
Prophezeihte nahen Sturm.
 
»Weißt du nimmer denn zu schweigen?
Sieh, am Horizonte steigen
Wetterwolken schwarz und schwer.
Lerne von mir Sturm zu wittern;
Lerne vor Gefahr zu zittern;
Immer näher kommt sie her.«
 
Liebe Eule, sprach bescheiden
Die vergnügte Sängerin:
Lehrtest du Gefahr vermeiden,
Ja so würd' ich dich beneiden
Um die Augen, um den Sinn,
Die Gefahr von weitem spähen.
Aber sie schon fern zu sehen,
Und nicht wissen zu entfliehn - - -
Nein, laß mir den leichten Sinn,
Laß mich singen immerhin;
Kommt sie näher, will ich schweigen
Und verbergen mich in Zweigen,
Bis dem grünen Flurenzelt
Sich der Himmel wieder hellt.