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Anna Louisa
(1722-
 
 Karsch
1791)
 
 
 
»Schwabb, war er ab!«
 
Angeblich der erste Reim der erst dreijährigen Dichterin.
Im 1792 erschienenen Lebenslauf der Anna Louisa Karsch, verfaßt von ihrer Tochter Caroline Louise von Klenke, heißt es:
 
»Sie war ein stilles, in sich verschloßnes Kind, welches weder im Schlaf noch im Wachen jemanden Unruhe machte, und so blieb sie bis in ihr sechstes Jahr. Sie kroch unter den Bänken der Gaststube herum, und saß zu halben Tagen, wie ein Gedanke, ganz still vor sich weg, ohne auf etwas zu merken, was um sie her vorging. Vermuthlich hatten die Gespräche der Bauern und gemeinen Gäste des Wirthshauses keinen Reiz für ihr Ohr, und ihren Eltern fehlte die Zeit, sich mit ihr zu unterhalten. Indessen verrieth sie doch dann und wann Lebhaftigkeit, wenn es Vorfälle gab, welche selten genug waren, auf das verborgene Feuer ihres Verstandes zu würken. So geschah es zum Beweise einsmals, daß sie als dreijähriges Kind auf dem Arme ihrer Großmutter der Hinrichtung eines Delinquenten zusahe, und als sein Kopf mit einem Schwerdtstreich des Nachrichters abflog, klopfte sie in die Hände, und rief von einer plötzlichen Empfindung getrieben: "Schwabb, war er ab!" Mit diesem Reime entsprang der erste Funken ihres dichterischen Genies, wovon die Umstehenden, welche herzlich lachten, zwar nichts vermutheten, allein den Ausspruch eines Kindes doch für so merkwürdig fanden, daß sie ihn ihren Bekannten wiederholten, und ihn so im Andenken erhielten.«
 
Zitat aus: Anna Louisa Karschin: Gedichte. Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslauff herausgegeben von Ihrer Tochter C. L. von Klenke, geb. Karschin. Berlin: gedruckt mit Ditericischen Schrifften, 1792. (Seite 14f)