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Elisabeth (1808- |
Kulmann
1825) |
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Der Rosenstrauch und der Eichbaum Schien' ich dir nicht verächtlich, Ich würde dich bewundern, Dem Himmel naher Eichbaum! Trotz deines Hochmuths bleibe Ich gegen dich noch billig. Es ist ein schöner Anblick: Den Wolkenzug, der prachtvoll Den Himmelsraum durchwallet, Wenn deiner Riesenscheitel Er naht, aus Ehrfurcht oder Weil seinen Lauf du zögerst, Auf einmal sachter wandeln Zu sehn; es ist ein schöner, Bewundernswerther Anblick: Dich mit dem Sturm, dem Sohne Der Lust, des Donners Bruder, In lautem, fürchterlichem, Hartnäck'gem Kampf zu sehen; Der Sturm, der sieggewohnte, Weicht nicht; es weichest aber Auch du nicht, breitest mächtig Und trotzig deine weiten, Der Furcht unkund'gen Arme Dem Wüthenden entgegen, Und stemmest stets von neuem Ihm die zurückgedrängte Zornvolle Stirn entgegen, Der niedrigeren Bäume, Der furchtsamen Gebüsche, Die rings um dich her beben, Gewaltiger Beschützer! Das bist du; warum aber Vergißt du, oder willst du Nicht wissen, daß die Menschen Mit liebender Bewundrung Beim Rosenstrauch verweilen, Deß liebliches Gedüft sie Von weitem schon erreichet? In ihren Liedern singen Sie oft vom Untergange Des einen und des andern, »Schön ist's, doch auch gefährlich, Sein Haupt bis in die Wolken Furchtbares Reich zu heben!« So singen sie. »O Rose, Warum ist dir, o Holde, Ein so beschränktes Dasein Auf unsrer Flur verliehen?« |
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Anmerkung des Herausgebers K. F. von Großheinrich: Nichts ist in der Geschichte der verschiedenen Literaturen interessanter zu sehen als der Eindruck des Genies auf das Genie. Dieses Gedicht ist aus Lafontaine's Eichbaum und Schilfrohr hervorgegangen, ob wir gleich auch nicht die geringste Spur von Nachahmung darin entdecken. Das Genie ist eine Fackel, deren Wachs mit den allerentzündbarsten Stoffen vermischt und durchdrungen ist; es bedarf nur der augenblicklichen Annäherung einer bereits brennenden Fackel, um sich dann in seinem eignen, oft durchaus verschiedenartigen Glanze zu zeigen. Bei Lafontaine ist von Stärke und Schwäche, bei Elisabeth Kulmann von Stärke und Schönheit die Rede, zwei der charakteristischen und auffallendsten Bestandtheile ihrer Dichtungen, und die wir bei ihr oft in einer wahrhaft bewundernswürdigen Harmonie vereint antreffen. |
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