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Emerenz
(1874-
 
 Meier
1928)
 
 
 
[Die Menschenbestie ist nun nie zu zähmen]
 
Die Menschenbestie ist nun nie zu zähmen,
Ob sie im Frack, ob sie im Drillich steckt,
Doch weiß sie schöne Mäntel umzunehmen,
Wenn etwas ihre Lüsternheit erweckt.
Daß Frommeln nicht, noch Aufklärung sie hemmen,
Daß weder Hölle sie noch Himmel schreckt.
Das ist noch lange nicht zur Mär geworden,
Man weiß, die Menschenbestie liebt zu morden.
 
Der Rasende im Kampf, der seinen Degen
Bohrt in des Gegners Brust, wird hart bestraft.
Mit Recht noch härter, wer auf Mörderwegen
Des Nächsten Habe oder Weib errafft.
Den Tod verdienet, wer der Menschheit »Segen«,
Die »Allerhöchsten« ihr vom Halse schafft,
- Tyrannen oder nicht -, trotz allem Schaden,
Von Gottesgnaden ist von Gottesgnaden.
 
Doch hinterm grünen Tische die Seigneure,
So hoch gebildet, so durchaus verfeint,
Vom Lackschuh bis zur Glatze eitel Ehre,
Den Frack voll Orden, doch das Herz versteint,
Leicht tänzelnd unter des Berufes Schwere,
Der sonst ja nichts an Eigenglück verneint,
Nach diesen Bestien laßt uns einmal spüren!
Die schlimmsten nämlich sind, die kalkulieren.
 
Spielt um den Globus ein beringter Finger,
Dröhnt's vor dem Stuhle aus besternter Brust.
Die Presse säuselt, saust, wird zum Bezwinger
»Ermanne Adel dich! Du Pöbel, mußt!«
Der Hellste selbst wird da zum Fahnenschwinger,
Zu Orgien schwillt der Patrioten Lust
Dem blut'gen Kalbe opfern die Nationen,
Und auf dem Schlachtfeld sterben Millionen.
 
Ja, schön ist es fürs Vaterland zu sterben,
Ob gut - kein Toter ward bis jetzt befragt.
Gut aber ist es für des Krieges Erben,
Wenn nicht für allzuviel Pension man klagt.
Die große Masse mag noch lang verderben,
Der letzte Heller wird ihr abgezwackt,
Doch darf sie jubelnd an des Thrones Stufen,
Am Sieggedenktag »Hoch« und »Vivat« rufen.