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Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
Der Kranz
 
Schön ist der Kranz, nach dem ihr, Mädchen, ringt,
Süß duften seine Blumen mannigfalt:
Die strahlet hell im Mittagssonnenlicht,
Die ist mit dunklem Purpur angethan,
Die lacht im sanften Himmelblau mir zu,
Die trägt des Apfels brennend Inkarnat,
Und jene schmucklose Viole strömt
Aus trübem bräunlichem Gewand der Nacht
Ein süßes Wölkchen von Gerüchen aus.
Und o! des heitern reinen Morgenroths
Geliebte Schwester, süße Rose du!
An deiner Schöne hängt der trunkne Blick.
Und, (holde Demuth!) lieblichs Veilchen! wie,
Ach wie verschönerst du den Mädchenkranz,
An dessen jungfräuliche Myrte sich
Die zarten Blümchen traulich allzumahl
Wie Perl' an Perl' im Diademe reihn!
Ihr Schwesterblumen (Schwestertugenden!)
Schön seyd ihr, lieblich alle, groß und klein;
Doch eine, eine hat Theano's Herz,
Vor allen ihren Schwestern tief gerührt;
Im hellsten Lichtweiß strahlet ihr Gewand;
Und wer mit reinem Blick sie jemahls schaut,
Der ist von ihrer Schöne still entzückt,
Und er vergißt in ihrem Anschaun froh
Ob eine von den holden Schwestern fehlt. -
 
Wem gleich' ich dich? du Unvergleichliche!
Dem spiegelhellen Bache gleich' ich dich,
Der unbewahrt bis auf den Grund sich schaun,
Sich frey in seine Tiefen dringen läßt -
Denn tief im Innern ist es wohl bestellt.
Was hätt' Arglosigkeit zu hüten? was?
 
O Blümchen! Blümchen! welke nie im Kranz,
Nach dem der Jungfrau'n Schaar so freudig ringt! -
Du, meines Herzens Liebling, welke nie!
Kein Wörtchen haben wir für dich geprägt;
Doch blühest du auf Deutschem Boden gern,
Bist heimisch in dem lieben Vaterland,
Der Franken Zunge nannte dich Candeur
Dich, hohe Unschuld, Seelenreinheit dich.
 
Arcanum bist du gegen arge List:
Sie, die Verschmitzte, die so fein versteckt
Ihr Netz, im düstern Winkel lauernd, spinnt,
Schaut tief erbebend deinen Strahlenblick -
 
  O Blümchen, Blümchen! welke nie im Kranz,
  Nach dem der Jungfrau'n Schaar so freudig strebt! -
  Du, meines Herzens Liebling, welke nicht! -
 
Leicht, o ihr Mädchen! leicht ist euer Kranz
Nicht zu erringen - euch zur Seite laurt
Die feige Trägheit, hängt (ein lastend Bley)
Euch an die schnelle fliehnde Ferse sich.
Gemächlichkeit raunt traulich euch ins Ohr:
»Heiß ist der Tag, der Kranz am Ziel hängt hoch,
Und hier im Schatten säuselt es so kühl.«
Ihr achtet deß im kühnen Herzen nicht,
Ihr rafft euch auf, ihr eilt, doch folgt
Gleich eurem Schauen rastlos Schritt für Schritt
Die übermächtige Gewohnheit euch;
Auch stellt sich Eigendünkel in den Pfad,
Und gaukelt euch vom schon ergriffnen Ziel,
Vom schon errungnen Kranze schmeichelnd vor.
Dann, arme Mädchen! winkt euch Eitelkeit,
Euch freundlich bietend ihren leichtern Kranz,
Der sonder Mühe in den Schooß euch fällt,
Ihr hascht ihn, kränzt euch eilig und vergeßt,
Daß seine Blüthen oft ein Hauch zerstört,
Indeß am Ziel der Unvergängliche
In ewig neuer frischer Schönheit strahlt,
Und jeden, der ihn muthiglich errang,
Ein himmelvoll Bewußtseyn still durchglüht.
 
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Ihr scheut des trüben Alters Furchen, scheut
Verblichne Lippen und gebleichtes Haar;
Ihr zittert, eure Nahmen einst verlöscht
Im Buch der Rosenwangigen zu sehn!
Und wolltet ihr, die unerbittlich eilt,
Mit Götterkraft die Flügel binden? wollt,
Ach wollt die Zeit im Adlerfluge fahn?
Und könnt, und könnt es nicht - und schaut
Mit ernstem Blick der fliehnden sinnend nach. -
Sie fliegt, und rafft in jeglichem Moment
Ein Blättchen eures Lenzes mit sich fort. -
Bald reicht der Sommer freundlich ihm die Hand;
Auch seine Blumen sind gar bald versengt. -
Dann kommt still und verschleyert euer Herbst,
Den löst, trotz allem Bitten, allem Flehn,
Der ernste Alte mit bereiftem Haupt
Von seinem Posten schweigend, und versenkt
Die letzte Blüthe sammt dem welken Laub
Tief in der großen Mutter sanften Schooß. -
 
  So war's, so ist es, und so wird es seyn:
  Das ist der Schönheit, ist der Tugend Loos. -
 
Auch ist der Kranz, um den ihr freudig ringt,
Kein Talisman, vor dem die Parzen fliehn;
Sie spinnen trotz dem Amulete fort,
Und schneiden trotz dem Amulete ab,
Wie's in den ewigen Gesetzen steht.
Doch ruht ein andrer Zauber in dem Kranz,
Der mächtiger als jeder Zauber wirkt,
Mit unsichtbarem tief gefühltem Reitz
Den seligen Besitzer überstrahlt,
Der mächtiglich die Herzen übermannt,
Von innen sie durchschüttert und durchbebt
Und tiefe, ernste Huldigung befiehlt,
Und ehrfurchtsvoll die Sinne schweigen heißt,
So daß das Auge nicht nach Schönheit fragt,
Nach frischer, rosenrother Jugend nicht. -
 
Mit diesem Kranze reist von Pol zu Pol,
Durchschifft die allerfernsten Meere, laßt
Auf ungekanntes unbesuchtes Eiland euch
Verschlagen; - wo vom himmlischen Gepräge nur
Ein einz'ger Zug, ein einz'ger Strahl noch blinkt,
Wo nur ein Restchen echter Menschheit weilt,
Man huldigt euch -
 
Kolumb, der Edle, empfängt
Erniedrigt und gefesselt den Tribut
Der Huldigung vom Führer zum Gericht,
Verschmäht (in seinen Fesseln frey und groß)
Die Freyheit aus des regen Mitleids Hand.
 
Und welcher Trotz und welche Wildheit ward
Von eines Weibes Tugend nicht gebeugt und zahm,
Und schmolz an Weibesmilde nicht dahin,
Wie Alpenschnee am Mayensonnenblick?
 
Wo sind Barbaren, die der Unschuld Würde nie
Mit tief gerührter Seele anerkannt?
In welches Volks Annalen sah man nicht
Vor Überwundnen Überwinder knien?
 
O eignet, Mädchen, eignet euch den Kranz,
Der immer duftender und lieblicher
Und strahlender dem Haupte deß entblüht,
Der bey des Lebens Morgenröthe schon
Mit heilig-frohem Ernste nach ihm rang.
Auch leuchtet er in dicker Finsterniß. -
 
Ringt, Madchen, ringt mit heilig-frohem Ernst -
Mit immer regem Muthe ringt nach ihm!
Und, so bekränzt, durchwallet denn getrost
Des Lebens und des Todes Finsterniß!