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Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
In der Erntezeit
 
Was steht ihr alle, sittsamlich gehüllt
In ein Gewand, weiß wie der Alpenschnee,
Mit blauen Tremsen euren Hut bekränzt,
Mit Schirm und Schleyer klüglich schon versehn?
Wollt ihr hinaus in Ceres reiche Flur?
Wollt ihr der Saatenfelder strahlend Gold,
Wollt ihr den Schnitter und die Binderin,
An ihrem Garbenfeste jubelnd schaun?
 
Bringt Hut und Kranz und Schleyer mir und kommt;
Vorüber zog der Wetterwolke Nacht,
Herunter troff der sanfte Regen schon,
Erfrischt ist alles, was da schmachtete,
Und uns empfängt mit siebenfachem Glanz
Des lichten Bogens offnes Strahlenthor -
 
Für uns, für uns hat er so glänzend sich
Mit seinem reichsten Schmucke angethan,
Für uns bekränzt der Felder brennend Gold
Des Buchenhaines dunkles Heiligthum,
Uns jubelt in lichtheller Wolke dort
Das hohe freudetrunkne Lerchenchor. -
Ja alles, alles, was uns, fern und nah,
Den still entzückten Sinn mit Schönheit labt,
Ist unser; denn Genuß nur ist Besitz,
Und nur der Fühlende, nur er genießt. -
 
Gegrüßt, o Schnitter! der mit kräft'gem Arm
Des Ährenreichthums Fülle kaum bezwingt
Sey uns gegrüßt, du rasche Binderin!
Wie? steht der Segen denn mit euch im Bund?
Ihr häufet Garb' auf Garb' in schöner Last,
Indeß die arme Nachbarsflur so karg
Die dünnen, leichten, leeren Halme zeigt. -
 
  »Im Bunde mit dem Segen steht der Fleiß:
  Wir schlummerten in früher Saatzeit nicht;
  Wir ackerten, wir pflügten tief,
  Und streuten reichlich unsern Samen ein;
  Da lächelte von oben der herab,
  Der Sonnenschein und Regen allen giebt,
  Doch für den Fleiß nur fröhliches Gedeihn
  Aus Luft und Sonn' und Regen nieder strömt:
  Wer ernten will, muß rüstig, frisch und früh
  Des besten Samens tief und reichlich streun.
  Hat er die Saatzeit achtlos hingeträumt,
  So mag er in der Ernte schlafend ruhn,
  Und Winters nach Brosamen suchend gehn.«
 
Dank, biedrer Schnitter, Dank dir, Binderin!
Seht, meine Jungfrau'n kehren dankend heim,
Streun rascher nun der Weisheit Samenkorn,
Und nähren jeder Mädchentugend Sproß
Im stillen Herzen, pflegen sorgsamlich
Die edle Saat; und groß und reich und schön
Wie diese, muß einst ihre Ernte seyn.
 
Wo ist die Harf', ihr Jungfrau'n! daß ich sing'?
Denn mich umstrahlt ein überirdisch Licht:
Die Zukunft schließt sich meinen Blicken auf;
Weissagen ja weissagen will ich euch.
 
Ich seh' ein einzig kleines Weitzenkorn,
Das vor mir hin auf lockern Boden fällt;
Es keimt, es sproßt, wird Halm, wird Ähre, trägt
Der neuen Weitzenkörner Hundert, die,
Versenkt aufs neu' in gutes Land, gedeihn
Zu hohen Halmen goldner Körner voll;
Aufs neu' gesät, auf neu' mit Himmelsthau,
Mit Sonnenstrahl und Regen reich getränkt,
Entsprossen die zu hundertfacher Saat,
Zu tausendfachen Ernten; sprecht, o wer,
Wer überschaut das große Garbenfeld,
Das diesem Weitzenkörnlein schon entsproßt,
Das ihm entkeimen wird, bis einst
Im Reihentanz die Erde stille steht? -
 
Das ist der Weisheit, ist des Guten Saat -
Ein einzig Körnlein zeitig ausgesät,
Besamt im Stillen wunderbarlich sich:
Die kleinste That schafft Thaten hundertfach,
Der Folgen Folgen wirken rastlos fort,
Entströmen sich, wie's Bächlein seinem Quell;
Es drängt die Welle Wellen; - wer,
Wer hat sie je, die zahlosen, gezählt,
Die aus dem Bächlein wallen in den Fluß,
Dem Fluß entströmen, in den hehren Strom;
Mit ihm, dem ungehemmten, rastlos fliehn,
Bis er ereilt den weiten Ocean? -
 
Wer mag die ganze Heerschaar überschaun,
Die sich ins Unermeßliche verliert?
Ihr seht den matten Pilger, der am Weg,
Schon halb verschmachtet, euch vorüber schleicht -
Leer ist die Hand, leer ist sein Herz an Trost,
Und seine lebensmüde Seele zagt:
Er hat zur armen Heimath noch so fern,
So fern zum Weibe, das nach ihm sich bangt,
Zu seinen Kindlein, die nach Brote schreyn:
Vergebens schlich nach Arbeit und nach Brot
Der gramverzehrte Vater matt umher. -
 
Ihr thut der Thaten kleinste; (denn was ist
Wohl weichen Seelen leichter, als erfreun?)
Er geht von euch erquickt, getröstet - stürzt
Nicht in die nahe tiefe Flut, die ihm
Ein süßes Ende seiner Qualen schien,
Glaubt nun an Menschheit, glaubt an Vorsicht, trägt
Geduldig nun des harten Lebens Joch,
Und lehrt die Kindlein und sein Weib daheim:
Es walt' ein guter Gott auch ihrer Noth,
Ein Gott, der Bäch' und Menschenherzen lenkt,
Der aus der Seinen Hand Verlaßne speist. -
 
Die Kindlein und das Weib vertraun dem Gott,
Der Menschen Herzen wie die Bäche lenkt. -
Sie sind erfreut, erquickt; - veredelt ihr.
Denn wißt, ihr Lieben: jede gute That wird Keim
In uns zu neuen Thaten, jede wirkt
Zehnfache Lust am Guten, kräftigt ihn,
Den jungen Keim, der bald zum Baum gedeiht -
Auch stille Weisheit, die sich selbst beherrscht,
Der Leidenschaften Flamme täglich dämpft,
Mit dem geheimsten Busenfehlern ringt,
Dem raschen Herzen sanftern Schlag befiehlt,
Und Mäßigung im Leiden und Genuß,
Und heitre Still' in Wonn' und Weh erkämpft,
Die ebnen Schritts die Bahn des Rechtes wallt,
Die nimmer, nimmer seitwärts wankt noch weicht,
Und immer Öhl in ihrer Lampe hält;
Die stille Weisheit leuchtet weit umher,
Ein Pharus auf dem Lebensocean;
An ihrem Licht entzünden tausend sich:
Ihr Flämmchen facht zahllose Funken an,
Die leuchten fort in fernste Fern' hinaus,
Und fachen immer neue Flammen an,
Und leuchten fort in alle Ewigkeit.