Zur Startseite
 
Inhalt      Register
 
 
< voriges Gedicht           nächstes Gedicht >
 
Karoline
(1754-
 
 Rudolphi
1811)
 
 
 
Fragment einer Elegie
 
Was preist ihr mich, als ob vor meinem Muth
Die düstre Sorge bang und schüchtern flöh';
Als ob der Gram zu diesem Herzen nie
Mit scharfem Zahne nagend sich gewagt;
Als ob der Wermuth meiner Lippe süß,
Und Probefeuer sanfte Kühlung mir,
Und Dorngesträuch ein Rosengarten sey?
 
Der helle Bach, der auf mein Saitenspiel
Von dieser bleichen Wange schweigend rollt,
Zeiht euch des Irrthums - Freunde, täuscht euch nicht;
Glaubt nicht dem Scherz, der auf der Lippe nur,
Wie leichter Schaum auf tiefen Wassern schwimmt,
Der selten aus dem Innersten nur kam,
Der, freundlich schonend, eurem Herzen nur,
Wie tief das meine blutet, gern verbarg. -
Weg mit dem übermüth'gen Wahne, der
Der Unverletzbarkeit sich täuschend rühmt! -
Laßt, Wahrheit uns vor allem ehrend, frey
Gestehen, Schmerz sey Schmerz, und Leiden sey nicht Lust -
Laßt' doch vor aller stolzen Weisheit ja
Uns nicht verlernen, nicht vergessen, Mensch zu seyn!
 
Wenn fühlte je die wohl bewehrte Brust
Der Schwächern tiefe Seelenfurchen wohl?
Und ach! der Starke, Unverwundbare,
Wo nimmt er Trost, wo nimmt er Balsam her
Die tief verwundeten zu heilen? - Wie
Kann der wohl mildern, der an Schmerz nicht glaubt?
 
Ist Mitleid nicht die Tochter eignen Weh's? -
Vernunft behauptet ihre Rechte; - gönnt,
O gönnt sie doch dem armen Herzen auch!
Sein Recht ist Freude, und sein Recht ist Schmerz;
Und eines nur ihm rauben könnt ihr nicht;
Müßt beid' ihm nehmen, oder zugestehn. -
Derselbe Nerve zuckt in Wonn' und Weh,
Dieselbe Saite, die dem Largo bebt,
Giebt auch das holde Grazioso, tönt
Im schmelzenden Affettuoso, glüht
Im höchsten feurigsten Prestissimo. -
Und ach! das tiefe, bange Largo ziemt
Dem irdischen Orschester nur zu wohl. -
 
Krankt nicht die ganze theure Brüderschaft
An bösem, altem, unheilbarem Weh?
Keimt nicht der Leidenschaften böse Saat
In aller Herzen? drängt und dämpft sie nicht
Des reinen Weitzens zarten jungen Schoß?
Und wer, wer säubert uns das trübe Glas
Das man am Lebenseingang mild uns beut,
Uns treu ermahnend, selber doch zu schaun?
Kaum reicht das halbe Leben, einzusehn:
Die alte liebe Brille sey gefärbt.
Zerschlägst du sie: wo kaufst du beßre her?
Auf diesem Markte sind sie rosenroth,
Auf anderm grau, auf anderm schwarz gefärbt -
Und tief ist jedes Farb' ihm eingebrannt. -
Ja, unzerstörbar ist des Irrthums Reich,
Und unvertilgbar ist des Lasters Saat. -
Der lichten Wahrheit, und der Tugend still
Mit reinem Sinn und Herzen huldigen,
Sie ernstlich suchen, treu bis in den Tod,
Ist unser Tagwerk, unser höchster Ruhm.
 
O laßt mich schweigen vom uralten Streit
Der hehren Wahrheit und des bunten Wahns!
O laßt mich schweigen von dem steten Kampf
Der Sinne mit dem bessern innern Gast,
Der kampfgerüstet, stündlich Wache stehn,
Gewaffnet und geschildet bleiben muß,
Und ach! so bald ein matter Schlummer ihn
Nach langem Kampfe endlich übermannt,
In ihre weit gespreitzten Schlingen sinkt -
Laßt, laßt mich schweigen, denn wenn säng' ichs aus? -
War nicht vom frühen ersten Anbeginn
Die Losung Krieg? - Krieg wird die Losung seyn,
Bis Sonn' und Stern in Graus und Trümmer fällt. -
Und - du entfliehst, wer du auch immer seyst,
Dem hart erpreßten Contingente nicht -
Ja, zahlen mußt du's der Nothwendigkeit,
So mild gesinnt, so friedlich du auch seyst. -
 
Doch tief gefühlt're Leiden harren dein. -
Je inniger, je feuriger du liebst,
O desto tiefer nistet nur der Schmerz
Im warmen Herzen. - Ruhig wandelst du
Am Freundesarme, trinkst aus seinem Blick
Der Erde reinste, höchste Seligkeit:
Und sich - mit nimmer fehlendem Geschoß
Erlegt der Tod ihn stracks an deiner Brust. -
Erloschen ist das Licht, das dich umstrahlt,
Versiegt der Wonneborn, der dich gelabt,
Verödet ist der Schöpfung Paradies,
Und schwarzes Dunkel lagert sich um dich,
Bis dich Vernunft mit Götterhand berührt,
Und leise flüsternd, dich der Thorheit zeiht,
Im Schmerze sich zu übernehmen; da
Auch Schmerzens Unmaß Überdruß gebiert,
Und den Geliebten nicht erweckend, selbst
Sein theures Angedenken tödtend löscht: -
Sie siegt, umschlungen von dem Arm der Zeit,
Und bald umglänzt ein Strahl die theure Gruft,
Umleuchtet Blumen, die nur ihr entsproßt,
Die tröstend deiner Hand entgegen blühn.-
Und bald, bald ist dein liebend Herz versöhnt
Mit Tod und Leben - wagt es noch einmahl
Sich an der Freundschaft Kelch zu laben, trinkt
Mit neuen Zügen neue Wonn' und - Schmerz;
Denn ach! es reißt ein feindliches Geschick
Die lieb're Hälfte fern von dir hinweg,
Indeß die bleibende in Sehnsucht schmelzt. -
 
Doch, selig, selig, selig preis' ich den
Und neidenswerth in seinem tiefsten Weh,
Ja, Wonn' ist dessen bängste Sehnsucht selbst,
Der einen Edlen treu und feurig liebt,
An reiner Flamme sich erhellt und wärmt,
Nicht wissend, ob er höher ehren, ob
Er heißer, trauter lieben muß. -
 
O selig, selig, wer so liebet! ihn
Beschleicht des Lebens banger Überdruß
Mit gelb gehärmter welker Wange nicht,
Er trinkt beherzt den ganzen Becher leer.
Doch weh dem Armen, der sein liebend Herz
(So sehr ihn zürnend und kopfschüttelnd auch
Die helle nüchterne Vernunft gewarnt)
An einen feinen Täuscher früh verlor!
Der, spät erwachend aus dem Morgenrausch,
Sein Kleinod in unwürd'gen Händen sieht,
Und dem es zu befreyn der Muth gebricht! -
Weh dem der liebt was er nicht ehren kann! -
Und dir, Unseliger! der Liebe gab
Und - Liebe fordernd niedre Sehnsucht fand,
O, der sein glühend-heißes, großes Herz
Am kalten, rauhen, öden Fels zerschellt! -
 
Und dreymahl weh der armen Rose, die
Den Kelch voll Duft dem niedern Schwelger bot! -
Er sieht - er pflückt - entblättert - und - zertritt. -
Der Unschuld letzte Thräne sieht er nicht,
Ihr letzter Seufzer dringt nicht an sein Ohr -
Und auch kein Lüftchen weht ihn rauher an!
 
Und weh! o weh des Elends, das der Mensch
Nach freyer Willkühr auf den Menschen häuft!
Gnügt's uns, ihr Lieben! gnügt's uns nicht an dem,
Was harte ewige Nothwendigkelt
Uns streng und unabbittlich auferlegt?
Und heißt euch nicht ein heiliges Gesetz
(Mit Flammenschrift in unser Herz geprägt)
Ihr Joch erleichtern, da ihr's nie zerbrecht? -
Wer fühlt' es nie, daß stolze Willkühr uns
Zur Zentnerlast ein Quentlein oft erschwert? -
Indeß Nothwendigkeit den Rücken stählt,
Auf den sie stündlich Last durch Lasten häuft,
Mit Muth und Kraft den Träger selber tränkt,
Ihn stündlich übt, bis ihm die Zentnerlast
(Ein Spielwerk nur) zum Gran verwandelt däucht.
 
Doch Willkühr, böse Willkühr neckt und reitzt -
Und weh ihm, den sie nicht mehr reitzt noch neckt,
Dem hoffnungslosen Kranken! - denn vom Haß
Magst du Genesung hoffen; aber wenn
Genas ein edles großes Menschenherz
Von der Verachtung Seelendürrsucht je?
 
O laßt uns bis ans Ende treu und gern
Die schwere, schwerste Probelection
Doch lernen: lieben, leiden und verzeihn! -
 
Euch, traute holde Schwestern, euch und mich
Hat liebender die Mutter angeblickt -
In uns verhärtet sich der düstre Harm
Zum Menschenhasse, zur Verachtung nicht. -
Zwar läuft mit unserm leichten schnellen Blut
Ein rasch Gefühl des Unrechts kreisend um;
Zu schnell verwundbar ist des Weibes Herz;
Doch schuf die Liebende uns einen Quell,
Der lösend bald die schärfsten Salze schmelzt,
Der auch die tiefsten Pfeile bangen Weh's
Uns heilend aus dem wunden Herzen spült -
Sie gab uns Thränen - Dank dir, o Natur!
Mit diesem Tropfen, der dem Aug' entrollt,
Mit dieser hellen Thräne dank' ich dir,
Daß du der Thränen Wohlthat uns gewährt!